Nein, ich war nicht in Berlin in letzter Zeit, doch Katarina Pollner lebt dort. Katarina ist Autorin, Poesiepädagogin und Lektorin und eine Texttreff-Kollegin. Sie wollte für mich bzw. querbeet gelesen einen Blogwichtelbeitrag schreiben – da sie leider witterungsbedingt verhindert war, hat sie Frau Bodenlosz vom Bodenlosz-Archiv als Wichtel vorbeigeschickt. Danke für die Wintergrüße, das Foto und den Buchtipp, Nina Bodenlosz! :)
Wintergrüße aus Berlin
Wenn in Berlin Schnee fällt, schaltet die Stadt auf Alarmstufe rot. Die Straßen sind mit Eis, Schnee oder schleimigem Matsch bedeckt, die S‑Bahn fährt nur ab und zu, Busse kommen oder nicht. Der Wintereinbruch scheint ein neues Phänomen zu sein. Nur Geduld, die Forschung arbeitet sicher schon daran.
Es gibt durchaus Versuche, dem Winter Herr zu werden: Heizungen werden in Weichen und Gleise eingebaut, Maschinen, die aussehen wie intergalaktische Raumschiffe, räumen ein paar Meter Gehweg und wenn man Glück hat, ergattert man im Schuhladen Spikes, die man unter die Schuhe schnallen kann.
Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als Schnee kein Drama war. Es wurde kalt, es schneite, der Schnee wurde weggeschippt, es wurde gestreut, die S‑Bahn kam und selbst mit dem Rad konnte ich zur Schule fahren. Spikes hatte damals niemand an, man brauchte sie nicht, nicht einmal im Vorort auf Nebenstraßen. Das kommt mir heute vor wie ein Märchen aus dem Wirtschaftswunder-Schlaraffenland.
In meinem Berliner Mietshaus existiert keine einzige Schneeschippe. Es gibt ja keinen Hauswart mehr, der sie bedienen könnte. Zuständig ist eine Hauswartsfirma, von der man nur gerüchteweise hört. Wahrscheinlich besitzt sie keine futuristische Schneeräummaschine und kann deswegen nichts ausrichten.
Warum sind die Schneeschippen verschwunden? Ich finde, sie hatten eine elegante Form. Und dieses herzhafte Schrappen auf Beton am frühen Morgen! Vielleicht waren sie aus Tropenholz, die Schippen, der Leim war giftig, ihr Einsatz schadete einer Krötenart und wurde europaweit verboten. Ich weiß es nicht.
Schneeschippen ist eine alte Kulturtechnik, die bald ausgestorben sein wird. Nur noch die ganz Alten über vierzig können erzählen, wie man das früher machte. So wie in unserer Familie nur noch mein Vater mit der Sense mähen konnte und auch der längst nicht so gut wie seine Vorfahren.
Ich bin ein Relikt: Ich kann mit einer Schippe umgehen. Oder ich könnte es, wenn ich eine hätte. Vielleicht lädt mich ein Museum als Zeitzeugin ein, damit ich es präsentieren kann. Wenn ich es übers Eis lebend bis ins Museum schaffe.
Und noch ein Buchtipp zur Berliner Weihnachtsgeschichte: „Deutsche Weihnacht. Ein Familienalbum 1900–1945“
Herr Wagner aus Berlin-Schöneberg war begeisterter Fotograf. 45 Jahre lang nahm er am Heiligen Abend mit Selbstauslöser sich selbst, seine Frau, den Baum und die Geschenke auf. Diese Fotos wurden in „Deutsche Weihnacht“ zusammengestellt und kommentiert. Man blättert durch die Jahre und erlebt deutsche Sozialgeschichte im Wohnzimmer der Wagners. Ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für alle Leute, die sich für Geschichte und Fotos interessieren.
Deutsche Weihnacht: Ein Familienalbum 1900–1945. Herausgegeben von Birgid Jochens. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung (5. Aufl.) 2006.
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