„Quendel“ von Caroline Ronnefeldt

Eigentlich hat das Buch ja „nur“ 448 Seiten, aber die Schrift ist ziem­lich klein, sodass es schon etwas dau­ert, bis man durch ist. Es geht sehr ruhig und gemäch­lich los an einem ent­spann­ten Spätsommertag im Hügelland, das sicher nicht nur mich an das Auenland erin­nert. Die Hobbits hei­ßen in Caroline Ronnefeldts Buch Quendel, sie sind klei­ne Leute, essen gern, rau­chen hin und wie­der ein Pfeifchen (die Männer), pfle­gen ihre Gärten, sind zumeist gesel­lig und haben jede und jeder so ihre Eigenarten.

Der Quendel Bullrich Schattenbart, der allein lebt, sei­nem Neffen Karlmann frü­her oft alte Geschichten erzähl­te, sei­ner Nachbarin Hortensia auch mal aus dem Weg geht und der vor allem Kartenschreiber ist, beschließt nach einem aus­gie­bi­gen Frühstück mehr oder weni­ger spon­tan, etwas Ungeheuerliches zu tun: Er will in den Finster, den gro­ßen, düs­te­ren, unheim­li­chen Wald gleich neben­an, der von allen Quendeln tun­lichst gemie­den wird. Auf Bullrich Schattenbars schö­nen, detail­rei­chen Karten der Gegend ist der Finster ein wei­ßer Fleck, und das soll sich nun ändern.

Der Quendel begibt sich also allein und ohne jeman­dem etwas davon zu sagen in den Finster. Und kehrt am Abend nicht zurück nach Hause. Seine Freunde und Nachbarn mer­ken das bald, und vier von ihnen bre­chen zusam­men auf, um ihn zu suchen. Es wird eine lan­ge Nacht. Denn etwas stimmt nicht im Hügelland, an ver­schie­de­nen Stellen sind uner­klär­li­che hel­le Lichter zu sehen, leuch­ten­der Nebel und Löcher, die in ein ande­res, wüs­tes Land zu füh­ren schei­nen, außer­dem gru­se­li­ge Erscheinungen, die all­zu real wirken.

Caroline Ronnefeldt nimmt sich mit dem Erzählen ihrer Geschichte Zeit. Sie sagt mit vie­len Worten, was man auch deut­lich kür­zer hät­te hal­ten kön­nen, aber so zieht es einen beim Lesen auch wirk­lich in die­se ande­re Welt, in die Geschehnisse die­ses Tags oder bes­ser: die­ser Nacht. Die Quendel blei­ben nicht nur Namen, son­dern Persönlichkeiten ent­ste­hen, jede und jeder für sich. Es sind noch mehr Quendel in die­ser Nacht unter­wegs, aber man ver­liert nie den Überblick. Und es baut sich eine gespann­te, durch­aus dunk­le Stimmung auf, geht es für die vier Quendel, die Bullrich Schattenbart suchen, doch bald um Leben und Tod.

Was geschieht im Hügelland, wohin ist Bullrich Schattenbart ver­schwun­den, wird er wie­der auf­tau­chen? Nicht auf alle Fragen gibt es am Ende des Buchs eine Antwort, eine Fortsetzung dürf­te also fol­gen. Die Umschlagillustration und die Karte vom Hügelland im Umschlag sind von der Autorin, die mit „Quendel“ ihren ers­ten Roman vor­legt. Sie greift alte Sagen unse­rer Welt auf und schwelgt in Worten und in ihrer Geschichte. Zauberer, Elben und ande­re fan­tas­ti­sche Wesen aus dem Hobbit-Universum tau­chen übri­gens nicht auf und Menschen sind nur mehr eine (ziem­lich nega­ti­ve) Erinnerung. Der Schrecken der lan­gen Nacht löst sich auch mit dem neu­en Morgen nicht auf, es ist nicht ein­fach alles wie­der gut. Die Quendel haben ein Problem und müs­sen es ange­hen. Wie, das wird ein wei­te­res Buch zeigen.

Caroline Ronnefeldt: Quendel
Lektorat: Emily Huggins
448 Seiten
ab 14 Jahren
ueber­reu­ter 2018
ISBN: 978–3‑7641–7077‑6
19,95 Euro