„Florence Nightingale. Nur Taten verändern die Welt“ von Nicolette Bohn

Florence Nightingale, der Name dürf­te nach wie vor vie­len etwas sagen, aber mehr als „die­se bekann­te bri­ti­sche Krankenschwester“ fällt den meis­ten wahr­schein­lich nicht ein, mir jeden­falls ging es so. Also kam die­se Biografie von Nicolette Bohn gera­de recht, die anläss­lich Nightingales 200. Geburtstag am 12. Mai 2020 erschie­nen ist.

Das Buch ist mit 176 Seiten rela­tiv schmal, es war bestimmt anspruchs­voll, sich so zu beschrän­ken. Gibt es doch, wie die Autorin erzählt, jede Menge Text aus Nightingales eige­ner Feder, zum einen ihre Bücher, zum andern 14.000 (!) Briefe sowie Tagebücher und Notizen. Logisch, dass man dann Schwerpunkte set­zen muss, in die­sem Fall sind es fol­gen­de: Kindheit und Jugend, Suche nach der Berufung, Krimkrieg, Jahre nach dem Krimkrieg. Am umfang­reichs­ten ist Punkt 2, Suche nach der Berufung.

1820 wur­de Florence Nightingale gebo­ren. Sie ent­stamm­te einer wohl­ha­ben­den Familie und hat­te Zugang zu einer guten Bildung. Ihre Eltern konn­ten sich meh­re­re Wohnsitze und aus­ge­dehn­te Reisen leis­ten und ermög­lich­ten ihr, ein­fluss­rei­che Leute ken­nen­zu­ler­nen. Florence‘ Wunsch, Krankenpflegerin zu wer­den, unter­stütz­ten sie aller­dings nicht, son­dern kämpf­ten jah­re­lang dage­gen an, vor allem wohl, da das zu der Zeit eine ver­ru­fe­ne Tätigkeit war, für die man kei­ner­lei Qualifikationen benö­tig­te. Dass sich dies änder­te, dar­an hat­te Florence Nightingale einen Anteil. In die­sem Buch geht es aber mehr um ihr Werden, nicht um ihr Werk und ihre Verdienste, wobei die­se natür­lich Erwähnung finden.

Wie das bei Biografien so ist, muss die Leserin, der Leser etli­che Namen und Daten jon­glie­ren. Hilfreich ist hier der Anhang, in dem ein Überblick über die Lebensstationen sowie ein Personenverzeichnis zu fin­den sind. Die Autorin lässt vie­le, zum Teil län­ge­re Zitate von Florence Nightingale und Zeitgenossinnen und ‑genos­sen ein­flie­ßen, sodass man bes­ser in die­se Zeit ein­tau­chen kann. So rich­tig greif­bar wird mir „die­se bekann­te bri­ti­sche Krankenschwester“ am Ende nicht, auch wenn ich viel über sie erfah­re. Was sicher dar­an liegt, dass eine sol­che eher schma­le­re Biografie nur ein Anfang sein kann.

Nicolette Bohn: Florence Nightingale. Nur Taten ver­än­dern die Welt
Lektorat: Burkhard Menke
176 Seiten
2020 Patmos Verlag
ISBN 978–3‑8436–1225‑8
19 Euro

„Früher war ich ein flottes Huhn, heute bin ich eine lahme Ente“ von Sigrid Tschöpe-Scheffler

Der Titel ist gut: tref­fend, ein­la­dend, macht neu­gie­rig. Die Autorin, Sigrid Tschöpe-Scheffler, erzählt gleich am Anfang, dass es ein Ausspruch ihrer Mutter war, ergänzt um „… und brau­che Hilfe“. Die Mutter wur­de 98 Jahre alt und benö­tig­te in den letz­ten 15 Jahren Pflege. Sie woll­te ihr Haus, in dem sie einen Großteil ihres Lebens ver­bracht hat­te, auch im hohen Alter nicht ver­las­sen. So kamen sie und ihre Tochter dar­auf, es mit 24-Stunden-Pflege zu ver­su­chen. Da die Mutter aus einer deutsch­stäm­mi­gen Familie in der Ukraine stamm­te, die ihre Heimat im Krieg ver­las­sen muss­te, woll­te sie ger­ne Pflegekräfte aus Osteuropa. Etliche Frauen und zwei Männer aus Polen, Rumänien, Russland, Moldawien, Bosnien, Armenien, Bulgarien und Ungarn leb­ten mit ihr im klei­nen Haus zusam­men und blie­ben unter­schied­lich lang, zwi­schen drei Monaten und vier Jahren.

Nun ist das Thema nicht unbe­dingt ein leich­tes, aber die Autorin bringt es fer­tig, unter­halt­sam, zugäng­lich, respekt­voll und infor­ma­tiv über die 15 Jahre mit 24-Stunden-Pflegekräften zu schrei­ben. Die Frauen aus Osteuropa blei­ben im Buch nicht bloß Namen, sind nicht nur Statistinnen, son­dern Menschen mit ihren eige­nen Biografien und Geschichten, für die sowohl die Mutter als auch die Autorin offen sind. Die Autorin ist das ein­zi­ge Kind und lebt wei­ter ent­fernt in einer ande­ren Stadt. Sie orga­ni­siert die Pflege, ist Ansprechpartnerin für die Pflegekräfte, muss oft kurz­fris­tig neue Lösungen fin­den. Als „bequem“ erscheint die­ser Weg nicht, aber als ein mensch­li­cher und für bei­de Seiten – Pflegende und Gepflegte – mehr als nur akzep­ta­bler. Die Autorin weist dar­auf hin, dass sie vor allem posi­ti­ve Erfahrungen gemacht hät­ten, nur eine Pflegerin hat­ten sie nach kur­zer Zeit wie­der weg­ge­schickt. Sie erwähnt auch, dass man­che Pflegekräfte in vori­gen Anstellungen Negatives erlebt hät­ten, von Ausbeutung bis Unterstellungen.

Ich neh­me aus dem Buch mit, dass es bei die­ser Pflegeform mensch­lich stim­men muss, da eben kei­ne Einrichtung für Kontinuität und gege­be­nen­falls Abstand sorgt. Dass viel Vertrauen da sein, aber eine drit­te Person von außen regel­mä­ßig schau­en soll­te, ob Pflegende und Gepflegte zu ihrem Recht kom­men. Die 200 Seiten lesen sich schnell, ver­mut­lich hät­te die Autorin locker dop­pelt so viel schrei­ben kön­nen. Es wird aber auch in die­sem Rahmen deut­lich, wie kom­plex das Thema ist, so greift die Autorin unter ande­rem auf: die Geschichte und die Erwartungen und Ansprüche der Gepflegten, die kör­per­lich gebrech­lich und zuneh­mend von Demenz beein­träch­tigt ist. Die Geschichte und Erwartungen und Ansprüche der Pflegenden, die sich teils zu Beginn kaum oder nur schlecht auf Deutsch ver­stän­di­gen kön­nen. Die Geschichte und Erwartungen und Ansprüche der Tochter und ihre Beziehung zur Mutter, ihre Rolle als Verantwortliche gegen­über der Mutter und den Pflegekräften.

Die Verbindung aus per­sön­li­cher Geschichte und Reflexion die­ser Pflegeform fin­de ich gelun­gen, am Schluss des Buches fasst die Autorin auch noch mal zusam­men, wor­auf man ach­ten soll­te, wenn man eine 24-Stunden-Pflegekraft sucht und ein­stellt, was man tun kann, damit die Pflegenden zufrie­den sind, und wie die­se Pflegeform zu einem Gewinn für alle Seiten wer­den kann. Nicht zuletzt hält sie fest, dass es für die 24-Stunden-Betreuung nach wie vor „kei­ne offi­zi­el­len Qualitätsstandards oder Kontroll- und Beschwerdeinstanzen“ gebe, „weder für die Betreuenden noch für die zu Pflegenden, was drin­gend nötig wäre“. Da die Zahl der Personen, die Pflege benö­ti­gen, wei­ter stei­gen wird, soll­te das dem­nach end­lich ange­gan­gen werden.

Sigrid Tschöpe-Scheffler: Früher war ich ein flot­tes Huhn, heu­te bin ich eine lah­me Ente. Meine alte Mutter, ihre Pflegekräfte aus Osteuropa und ich
Lektorat: Marlene Fritsch
200 Seiten
2020 Patmos Verlag
ISBN 978–3‑8436–1233‑3
18 Euro

„Burnout. Ein Comic-Tagebuch“ von Maaike Hartjes

Maaike Hartjes ist Comiczeichnerin, Illustratorin und Cartoonistin, zwi­schen gro­ßen Aufträgen wird sie oft krank und schließ­lich kann sie nicht mehr arbei­ten, obwohl sie ihren Job liebt. Sie hat Burnout und braucht ein hal­bes Jahr, um gesund zu wer­den. In die­ser Zeit führt sie ein Tagebuch, genau­er: ein Comic-Tagebuch. Tag für Tag zeich­net und schreibt sie, wie es ihr geht und was sie gemacht hat, das Leben läuft ja wei­ter mit Familie, Freunden, Treffen, Reisen, mit schö­nen und mit trau­ri­gen Ereignissen – und mit etli­chen Versuchen, wie­der zu arbei­ten und Leben und Job in Balance zu brin­gen. Es ist ein Auf und Ab, Verzweifeln und Dranbleiben, ein Hoffen, dass das Burnout end­lich vor­bei ist, und Begreifen, dass es sei­ne Zeit braucht.

Für mich hat das Buch was von einer Schatzkiste, jede Seite ist anders und indi­vi­du­ell gestal­tet, in den Details könn­te man sich glatt ver­lie­ren. Die Seiten haben als Grundfarbe ein dunk­les Beige, das Ruhe rein­bringt und sich pri­ma als Hintergrund eig­net. Maaike Hartjes nutzt die gan­ze Seite, da gibts kei­ne immer­glei­chen Kästen, in die Figuren und Texte ein­ge­sperrt sind. Die Personen sind klei­ne Strichmännchen mit Körper und manch­mal mit Farbe, die Schrift ist eine Art Schreibschrift in Schwarz, die nicht all­zu groß ist, sich aber gut lesen lässt. Farben setzt sie rela­tiv spar­sam ein, dafür klebt sie: Schnipsel und Seiten von diver­sen Papieren, Masking Tape mit unter­schied­lichs­ten Mustern, Anhänger, Eintrittskarten, Etiketten usw.

Ich hab das Buch schon zwei­mal gele­sen bzw. ange­schaut-gele­sen, und dabei bleibt es ver­mut­lich nicht. Ratgeber liest man ja oft ein­mal durch und hat dann das Gefühl, alles zu wis­sen, was man über ein Thema wis­sen muss. Ein Comic ist ein ande­rer Zugang, ein Tagebuch eben­falls. Die Kombination aus bei­dem fin­de ich sehr gelun­gen. Man kann für sich etwas mit­neh­men, ohne dass Empfehlungen gege­ben oder gar Vorschriften gemacht wer­den, man sieht, wie eine Person, die das in Worten und Bildern wun­der­bar aus­drü­cken kann, mit Burnout gekämpft und – Happy End! – gewon­nen hat. Kurzum: ein rich­tig gutes Buch.

Maaike Hartjes: Burnout. Ein Comic-Tagebuch
Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke
240 Seiten
2019 Patmos Verlag
ISBN 978–3‑8436–1195‑4
26 Euro