„Miranda Lux“ von Oliver Schlick

Miranda Lux ist fünf­zehn und lebt mit ihrer Tante Trudi, der älte­ren Schwester ihres Vaters, in einem höchst unge­wöhn­li­chen gro­ßen Haus, bei dem sich außen Elemente ver­schie­dens­ter Baustile tref­fen und das auch innen so man­che Überraschung parat hält. Das Haus passt per­fekt zur Lux-Familie, denn Mirandas Eltern waren sozu­sa­gen Experten fürs Ungewöhnliche, UFOs und Außerirdische inklu­si­ve. „Waren“ des­halb, da sie vor Jahren bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kamen. Was Miranda aller­dings bezwei­felt, sie ist der Meinung, dass ihre Eltern seit­dem nur ver­schwun­den sind.

„Zweifeln“ ist ein gutes Stichwort, das spielt für Miranda und für das gan­ze Buch eine gro­ße Rolle. So ist Miranda Mitglied in einer gehei­men Organisation, dem „Zweifelwerk“, dem Menschen ange­hö­ren, die alles, was als „die Wahrheit“ ver­kauft wird, hin­ter­fra­gen und der Meinung sind, dass es von einem Geschehnis immer min­des­tens zwei Versionen bzw. Geschichten gibt. Das Zweifelwerk beschäf­tigt sich unter ande­rem mit einer Reihe von Todesfällen, die durch sieb­zehn Zeilen der anti­ken Tragödie „Ajax“ von Sophokles mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Und bei den „Ermittlungen“ zu die­sen Todesfällen kommt Mirandas Geschichts- und Klassenlehrer Viktor Carelius ins Spiel, des­sen Weltbild dabei gehö­rig erschüt­tert wird – kein Wunder bei dem, was ihm alles so pas­siert und begegnet …

Die Geschichte ist aus Mirandas und Viktor Carelius‘ Sicht erzählt, und zwar so, dass man die knapp 400 Seiten am liebs­ten in einem Rutsch lesen möch­te. Sie ist rund und kom­plex gestrickt, humor­voll, zuwei­len leicht ver­rückt, und sie nähert sich dem Thema Außerirdische, UFOs, Verschwörungstheorien auf eine unver­krampf­te, fes­seln­de und span­nen­de Art. Ihr größ­ter Pluspunkt ist wahr­schein­lich das Figurenensemble. Denn nicht nur die zwei Hauptpersonen Miranda und Viktor Carelius sind rich­ti­ge Charaktere, son­dern auch die Personen um sie her­um: Tante Trudi mit ihrer Vorliebe für kit­schi­ge Serien und ihrer bedin­gungs­lo­sen Liebe zu Miranda, Viktor Carelius‘ Vermieter Frizzi, ein Alt-Punk mit Ordnungsfimmel, der win­di­ge Esoterik-Verleger Weirdo Wunderlich … sogar der Opa, der auf der Bank am Markt sitzt und nur ein ein­zi­ges Mal erwähnt wird, ist nicht ein­fach nur ein Opa, son­dern bekommt ein Stückchen Individualität. Das macht das Buch echt und leben­dig, und was will man von einem Buch mehr?

Na ja, viel­leicht eine Fortsetzung. Denn die­se eine Geschichte ist am Ende zwar mehr oder weni­ger abge­hakt, aber so ganz dann doch nicht …

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Oliver Schlick: Miranda Lux – Denken heißt zwei­feln oder war­um jede Geschichte zwei Seiten hat
400 Seiten
ab 12 Jahren
ueber­reu­ter 2016
ISBN: 978–3‑7641–7059‑2
16,95 Euro

Oliver Schlick: „So kalt wie Eis, so klar wie Glas“

Nach die­sem Buch sieht man Schneekugeln ver­mut­lich mit ande­ren Augen bzw. man schaut sie sich über­haupt erst mal rich­tig an. Denn Schneekugeln, also die­se Glaskugeln mit Innenleben, in denen Schnee rie­selt, wenn man sie schüt­telt, sind der Dreh- und Angelpunkt von „So kalt wie Eis, so klar wie Glas“. Die Geschichte um die­se ori­gi­nel­le Idee ist dicht und span­nend geschrie­ben, nach dem Lesen hat­te ich Lust auf mehr Bücher die­ses Autors, Oliver Schlick. Ich hof­fe also, da kommt bald Nachschub. ;)

Zur Geschichte: Cora, acht­zehn Jahre, erfährt erst nach dem Tod ihrer Mutter, dass sie noch Familie hat, im idyl­li­schen Ort Rockenfeld, wo seit Generationen exakt fünf Männer bzw. Frauen Schneekugeln fer­ti­gen dür­fen. Das sind kei­ne simp­len Schneekugeln, son­dern wah­re Kunststücke, ech­te Handarbeit. Cora zieht nach Rockenfeld und muss sich erst mal ein­le­ben: lau­ter neue Menschen, neue Schule – und wegen einer ganz spe­zi­el­len Schneekugel gesche­hen mit Einbruch des Winters selt­sa­me Dinge in Rockenfeld, Dinge, die nicht ratio­nal zu erklä­ren sind.

Das Buch hat eine sym­pa­thi­sche Heldin, mit der man mit­fie­bert, Nebenpersonen mit Macken, Ecken und Kanten, aber vor allem viel Herz, Gegenspieler sowie undurch­sich­ti­ge Charaktere, einen Unbekannten, des­sen Augen Cora nicht ver­ges­sen kann – sie alle sind in einem Beziehungsnetz ver­wo­ben, das die Geschichte trägt, gleich ob es um eine Wirklichkeit geht, wie wir sie ken­nen, oder eine mit fan­tas­ti­schen Elementen, die Spannung und ein wenig Grusel rein­brin­gen – mit blau­en Lichtern, über­ir­di­schen Erscheinungen und viel Kälte. Die fan­tas­ti­sche Ebene hat mini­ma­le Schwächen, aber unterm Strich ist das Buch von der ers­ten bis zur letz­ten Seite wun­der­ba­res Lesefutter.

Oliver Schlick: So kalt wie Eis, so klar wie Glas
384 Seiten
ab 14 Jahren
2015 ueberreuter
ISBN: 978–3‑7641–7043‑1
16,95 Euro