Dieses Buch ist so lang wie breit und ganz schön abwechslungsreich: Die Doppelseiten sind immer unterschiedlich aufgeteilt, mal ist auf ihnen nur eine Szene dargestellt, mal drei, mal sechs. Die Bilder wirken filmisch – das Äußere der Menschen, ihre Mimik, die Darstellung von Bewegung, das Mattzeichnen des Hintergrunds … Und das namenlose Knäbchen, das wir durch die Seiten begleiten, hat auch ein ordentliches Tempo drauf.
Mit seiner Familie verbringt der Junge einen Tag am Strand und baut natürlich eine überaus geniale Sandburg. Wie gut, denn: „Wenn du eine tolle Sandburg baust, kommt ganz sicher ein Drache und zieht ein“. Hier ist es ein äußerst cooler Drache, rot und groß, mit gelblichen Kulleraugen und einem kleinen braunen Koffer – auf dem Aufkleber sind, unter anderem von der „Route 66“. Dieser Drache sieht erstaunlicherweise auf keinem Bild auch nur ein klitzekleines bisschen bedrohlich aus, er hat nicht den bösen, sondern den lieben Blick. Aber er hat es auch faustdick hinter den Ohren, und so haben der Junge und er einen herrlichen Tag: Sie spielen, schwimmen, vertreiben ältere Jungs, die am Strand herumziehen und kleinen Kindern die Sandburgen kaputtmachen, sie braten Marshmallows …
Mit so einem Superdrachen, einem genialen Freund, will man natürlich ein wenig angeben, und so lässt der Junge den Drachen laut brüllen, zeigt eine Drachenfeder und die scharfen Zähne – doch Mutter, Vater und große Schwester hören und sehen keinen Drachen. Als dann die belegten Brote verschwinden, der Schokoladenkuchen angeknabbert ist und die Schwester mit Sand vollgeschmissen wird, meint unser Held: „Das war ich nicht – das war der Drache!“ Ganz recht hat er damit zwar nicht, denn die Buchanschauer sehen ja, dass die beiden, der Junge und der Drache, alles zusammen machen: futtern und stänkern.
Es ist also die alte Geschichte vom unsichtbaren Freund, doch diese ist – gerade von den Bildern her – wunderbar frisch umgesetzt. Meist spiegelt der Drache den Gesichtsausdruck des Jungen, von ausgelassen-fröhlich über frech bis zerknirscht. Und für die, die es gern rational haben, gibt es immer noch eine garantiert drachenlose Lesart: die Drachenfeder ist eine Möwenfeder, die sandburgenräuberischen Jungs flüchten vor dem Drachen und/oder vor dem Vater des Jungen, der ihnen mit der Grillzange droht, die Schwester sieht keine Drachenzähne, sondern nur zerbrochene Muscheln, die ja auch weiß und scharfkantig sind.
Am Schluss haben Mutter, Vater und Schwester genug von dem „Drachenzeug“, und der Junge stimmt ihnen zu – der Drache muss ausziehen, die Sandburg wird zerstört, und das ist doch kein schönes Ende für solch ein Buch, nicht wahr? Also blättern wir um zur letzten Seite und da gibt es ja einen neuen Tag und wer kommt da, ist das nicht …?
„Das war ich nicht – das war der Drache!“ ist ein Buch, das vor Lebendigkeit sprüht, einfach schön für Kinder ab fünf Jahren. Und was ich noch sagen wollte: Es besteht die Gefahr, dass Eltern, wenn das Kind fürderhin „Das war ich nicht!“ sagt, mit „Ach, klar, das warst nicht du, das war der Drache!“ antworten. Hahaha …
Das war ich nicht – das war der Drache!
von Jodi Moore
illustriert von Howard McWilliam
Lappan Verlag 2012
40 Seiten
ISBN: 978–3‑8303–1188‑1
12,95 Euro