Das Buch, das es wert ist?

Gibt es über­haupt noch Leute, die nicht bei Facebook sind? Man mag es kaum glau­ben, aber die gibt es. Mich zum Beispiel. Und wenn man tag­ein, tag­aus viel zu vie­le Stunden am Computer hockt, weil der Job das nun mal ver­langt, aber auch, weil sich hier ein gan­zes Stück Leben abspielt, mit Lieblingsnetzwerk (Texttreff), Herzensblogs, eige­nen Bloggereien usw., hat man manch­mal das Gefühl, die gan­ze Welt sei bei Facebook. Was natür­lich nicht so ist. Aber …

Seit Mittwoch läuft die Abstimmung zu „derneuebuchpreis.de“, der 2011 zum ers­ten Mal ver­ge­ben wur­de. Und zwar an Autoren, die im Selbstverlag publi­zie­ren, in den Kategorien Belletristik, Sachbuch, Wissenschaft, Kunst und Fotografie, Kinder- und Jugendbuch. Eine Chance für die, die (noch) kei­nen Verlag gefun­den haben oder nicht in einem Publikumsverlag ver­öf­fent­li­chen wollen.

Mein Sachbuch-Favorit ist „Hannover per­sön­lich“ von Birte Vogel. Das Buch habe ich im Blog rezen­siert, es ist ein­fach ein wun­der­ba­res Buch – Porträts von vier­zehn Leuten, die in Hannover leben oder gelebt haben. Und Hannover ist völ­lig egal, man muss nichts mit Hannover zu tun haben, um die­ses Buch zu lieben.

Ich wür­de also sofort „Hannover per­sön­lich“ mei­ne Stimme geben und die Daumen drü­cken, dass es den neu­en­buch­preis gewinnt. Doch lei­der bin ich aus­ge­schlos­sen, denn um sei­ne Stimme abge­ben zu kön­nen, muss man bei Facebook regis­triert sein. Verliehen wird derneuebuchpreis.de von Tagesspiegel, ZEIT ONLINE, Stiftung Lesen und epu­b­li. Man darf wohl anneh­men, dass die Macher im Hintergrund sich die Entscheidung für Facebook gut über­legt haben.

Dazu ist auf der Seite zum neu­en­buch­breis Folgendes zu lesen:

„Eine Anmeldung bei Facebook und die Installation unse­rer Facebook-Anwendung derneuebuchpreis.de ist tech­nisch nötig, um Stimmen ein­zel­nen Benutzern zuord­nen zu kön­nen und eine Mehrfachabstimmung zu ver­mei­den. Durch die Verwendung von Facebook erlau­ben wir den ca. 25 Mio deut­schen Facebook-Nutzern eine ein­fa­che Beteiligung und schaf­fen damit die größt­mög­li­che Öffentlichkeitswirkung für unse­re Autoren.“ (Quelle)

Ich kann zwar nach­voll­zie­hen, dass man Klickschummeleien aus­schlie­ßen möch­te. Und dass der Zeitaufwand für alle Beteiligten so gering wie mög­lich gehal­ten wer­den soll. Aber gut – nein, gut fin­de ich das nicht. Und mit Sicherheit hät­te es ande­re Möglichkeiten gege­ben, um eine fai­re Abstimmung hinzubekommen.

Hier fin­det ihr ein Video zur Buchvorstellung von „Hannover per­sön­lich“ am 6. Dezember 2011, zu sehen sind u. a. Birte Vogel und eini­ge der Porträtierten: www.youtube.com. Auf Book2look könnt ihr in das Buch rein­le­sen: www.book2look.de. Und hier wäre dann noch die Abstimmung: www.epubli.de. Seine Stimme kann man bis zum 5. September abge­ben. Aus den jewei­li­gen Top 5 (die mit den meis­ten Stimmen) wählt dann eine Jury die Gewinner.

Nö, ich regis­trie­re mich nicht bei Facebook. Aber das Buch wäre es schon wert …

Vierzehn Porträts, ein Buch: „Hannover persönlich“ von Birte Vogel

Gefreut hat­te ich mich vor allem auf das Porträt von Ingo Siegner, der Kinderbuchautor und ‑illus­tra­tor ist. Eine sei­ner Figuren ist der klei­ne Drache Kokosnuss, über den es nun schon mehr als ein Dutzend Bücher gibt. Kinder lie­ben den Feuerdrachen, und Erwachsene kön­nen die­se Geschichten sehr gut ertra­gen, sogar auf lan­gen Autofahrten als Hörbuch, und das will was heißen.

Ingo Siegners Porträt ist nicht das ers­te in „Hannover per­sön­lich“, und ich habe auch nicht ins Inhaltsverzeichnis geschaut und dann vor­ge­blät­tert – son­dern ein Porträt nach dem ande­ren gele­sen, in der Reihenfolge, die Birte Vogel aus­ge­wählt hat. Natürlich kann man die vier­zehn Porträts lesen, wie man lus­tig ist – man könn­te sich die Fotos auf dem Cover anschau­en, eins aus­wäh­len und es dann im Buch suchen. Oder man fängt hin­ten an, in der Mitte, wie es einem gefällt. Das geht, denn die Porträts sind jedes für sich abge­schlos­sen, die Porträtierten haben mit­ein­an­der nichts zu tun. Dennoch haben sie ein-zwei Dinge gemein­sam: Zum einen leben sie in oder bei Hannover bzw. haben dort gelebt, zum andern sind ihre Geschichten äußerst lesenswert.

Sechs Frauen und acht Männer hat Birte Vogel inter­viewt und dann in Worte gefasst, wie sie die­se Persönlichkeiten erlebt hat und was sie ihr erzählt haben. Die Porträts erschei­nen zum Großteil sehr per­sön­lich, und das, obwohl Familiäres und wirk­lich Privates zumeist auch pri­vat und unge­sagt bleibt. So spie­len die Männer bzw. Frauen der Interviewten kei­ne Rolle, auch Kinder, so es wel­che gibt, fin­den höchs­tens am Rande Erwähnung. Es geht wirk­lich jeweils um die­se eine Person, auf die sich Birte Vogel kon­zen­triert, bei der sie nach­fragt und ‑forscht, wel­che Geschichte sie hat, wie sie so gewor­den ist, wie wir als Leser sie jetzt erle­ben dür­fen. Eine zen­tra­le Rolle spielt dabei der Beruf, und hier ist die Spannweite wirk­lich breit: eine Hutmacherin, ein Radrennfahrer, ein Clown, eine Taubblinden-Pädagogin …

Die Taubblinden-Pädagogin heißt Inez Aschenbrenner, und Birte Vogel hat sie an einem Sommertag getrof­fen, im Taubblindenzentrum (TBZ), wo sie arbei­tet. Birte Vogel darf bei einer Unterrichtsstunde zuschau­en und danach Fragen stel­len, ver­mut­lich sind es sehr, sehr vie­le gewe­sen, denn das Porträt ist so rund und detail­reich, dass es sich wun­der­bar und leicht liest, aber man weiß ja, wie viel Arbeit genau die­ses Leichte, Kompakte macht, wenn man es zu Papier brin­gen will bzw. muss. Und Birte Vogel bet­tet die per­sön­li­chen Geschichten in einen grö­ße­ren Kontext ein – in Inez Aschenbrenners Porträt geht sie auf die Taubblindheit ein: Was ist das für eine Behinderung, wer war die bekann­tes­te Taubblinde (die Amerikanerin Helen Keller), wel­che Ursachen kann die Taubblindheit haben, wie erle­ben Taubblinde wahr­schein­lich sich und die Welt, wie kön­nen sie kommunizieren?

Wie müh­sam es für Taubblinde sein kann, Kontakt zu ihrer Umgebung auf­zu­neh­men, und wie schwer es für ihre Familie, Lehrer und Freunde sein kann, sie zu ver­ste­hen, begreift man, wenn Birte Vogel eine Unterrichtsstunde schil­dert. Das ist ganz groß, was Inez Aschenbrenner da als Pädagogin leis­tet, den­ke ich, jeden Tag aufs Neue! Und am Ende des Porträts bin ich furcht­bar berührt und gerührt. Und so geht es mir mit eini­gen der Porträts, nicht mit allen, ver­mut­lich wird das bei jedem Leser anders sein, wird die eine Geschichte den mehr und die weni­ger anspre­chen. Aber alle sind fes­selnd und zugleich sehr informativ.

Die meis­ten Namen wer­de ich mir wohl nicht mer­ken, Namen sind nicht so wich­tig für mich. Aber die Geschichten, die Persönlichkeit der Porträtierten wer­de ich kaum ver­ges­sen, und mit­neh­men wer­de ich außer­dem Ermunterung, Antrieb, ein Stück Zuversicht. Man liest hier, dass man etwas bewe­gen kann, wenn man Energie nicht nur in sich, son­dern auch in ande­re steckt, in die Gemeinschaft, wenn man es so will. So gibt zum Beispiel Ingo Siegner schon viel, indem er gute Kinderbücher schreibt, die Kinder zum Selberlesen brin­gen. Doch außer­dem ist er Schirmherr von Lesestart Hannover e.V., einem Verein, der sich für die Sprach- und Leseförderung von Kleinkindern ein­setzt. Das wuss­te ich vor „Hannover per­sön­lich“ noch nicht. So wie vie­les ande­re. Und ein Buch ist doch erst rich­tig span­nend, wenn man etwas Neues erfährt!

So viel zum Inhalt des Buches, noch kurz ein paar Sätze zu sei­nem Äußeren: Es ist ein kom­pak­tes Hardcover mit Schutzumschlag und, was ich immer groß­ar­tig fin­de, mit einem Lesebändchen. Auf dem Cover sind vier­zehn Porträtbilder zu sehen, die dann im Buch beim jewei­li­gen Porträt wie­der auf­tau­chen, ganz­sei­tig. Die Fotos stam­men von Dieter Sieg und sie sind, wie die Wortporträts, per­sön­lich. Unmittelbar, lebens­nah. Passt einfach.

Kein Wunder, dass ich die­ses Buch emp­feh­le – und um mit „Hannover per­sön­lich“ etwas anfan­gen zu kön­nen, muss man nicht irgend­wann in der Stadt gewe­sen sein oder dort gelebt haben. Denn es geht nicht um die Stadt, son­dern um die Menschen – die inter­es­san­te, packen­de Geschichten zu erzäh­len haben. Beziehungsweise bei denen Birte Vogel es gelun­gen ist, Geschichten zu erfas­sen und auf­zu­schrei­ben, die mehr sind als nur eine Aufzählung von Fakten und Informationen, deut­lich mehr. Man wünscht sich eine Fortsetzung, viel­leicht von einer ande­ren Stadt, und ganz abge­neigt ist die Autorin offen­bar nicht. So ein Glück!

 

Hannover per­sön­lich
Porträts von Birte Vogel (Texte)
Dieter Sieg (Fotos)
Gebunden mit Schutzumschlag
280 Seiten
19,90 Euro
ISBN 978–3‑9814559–0‑8
Seewind Verlag

Alle Porträtierten auf einen Blick: Werner Buss, Inez Aschenbrenner, Peter Shub, Margot Käßmann, Grischa Niermann, Brita M. Watkinson, Hans-Peter Lehmann, Ramona Richter, Ingo Siegner, Gábor Lengyel, Annika Dickel, Hans-Jürgen Gurtowski, Astrid Ries, Burkhard Inhülsen.

Ich bin neu­gie­rig und habe Birte Vogel vie­le Fragen gestellt – zur Entstehung des Buches, zu den Interviews usw. Das alles ist hier nach­zu­le­sen: „Wie ein Porträtbuch ent­steht: Birte Vogel über ‚Hannover per­sön­lich‘ “.