„Martin Luther King: Ich habe einen Traum. Ein Lesebuch“

Martin Luther King, klar, kennt man. Aber wie sieht es mit Texten von ihm aus, Predigten, Ansprachen, Reden? Wer da mal rein­le­sen möch­te, kann das mit „Martin Luther King: Ich habe einen Traum. Ein Lesebuch“ tun, das jetzt im Patmos Verlag erschie­nen ist. Herausgeber ist Heinrich Grosse. Für das Buch hat er drei­zehn Texte aus den Jahren 1955 bis 1968 aus­ge­wählt. Die Texte sind chro­no­lo­gisch geord­net und jeweils vor­an­ge­stellt sind eini­ge Sätze des Herausgebers zu den genau­en Umständen, in denen der Text ent­stand. Am Ende des Buchs fin­det sich eine Zeittafel mit zwei Spalten: Stationen in Martin Luther Kings Leben auf der einen Seite und auf der andern Ereignisse der Weltpolitik bzw. deut­scher Politik. Zu Stationen von Kings Leben hat der Herausgeber auch am Anfang des Buchs ein paar Worte geschrie­ben, sie sind eine gute Einführung.

Geboren wur­de Martin Luther King am 15. Januar 1929, ermor­det wur­de er am 4. April 1968 im Alter von neun­und­drei­ßig Jahren. 1955 war er also sechs­und­zwan­zig Jahre alt. Ende 1955 war in Montgomery die Näherin Rosa Parks im Bus nicht für einen Weißen auf­ge­stan­den und des­we­gen ver­haf­tet wor­den. Martin Luther King war Pastor in Montgomery und orga­ni­sier­te den dar­auf fol­gen­den Busboykott mit: Schwarze soll­ten so lan­ge nicht mehr in Montgomery mit Bussen fah­ren, bis die Rassentrennung in Bussen auf­ge­ho­ben wür­de. Das geschah knapp ein Jahr spä­ter. Die Rede, die Martin Luther King bei der ers­ten gro­ßen Protestversammlung zum Busboykott hielt, ist die ers­te im Buch. Die letz­te ist die, die er am Tag vor dem Attentat in Memphis hielt.

Natürlich weiß man nach der Lektüre des Buchs nicht „alles“ über Martin Luther King, wie denn auch. Das knapp 190 Seiten star­ke Buch bie­tet einen Einblick und Überblick über Leben und Werk Kings. Die Texte wur­den zwar vor fünf­zig bis sech­zig Jahren geschrie­ben, aber sie wir­ken nicht ver­staubt und behan­deln sehr heu­ti­ge Themen. Diskriminierung, Rassismus, Krieg, Hunger usw., all das ist kein Schnee von ges­tern, son­dern nach wie vor aktu­ell. Und King fin­det Worte dafür, die zum Nachdenken anre­gen und berühren.

Der Herausgeber, Heinrich Grosse, hat­te 1967 bis 1968 in Boston, USA, stu­diert und begeg­ne­te Martin Luther King selbst, über ihn pro­mo­vier­te er spä­ter und beschäf­tig­te sich wei­ter mit des­sen Leben und Werk, über­setz­te auch eini­ge sei­ner Reden ins Deutsche. Das merkt man dem Buch an, es ist ein­fach eine run­de Sache. Und die Hülle stimmt auch: anspre­chen­des Cover, fes­ter Einband und Lesebändchen. Also: ein sehr gelun­ge­nes Lesebuch über Martin Luther King.

Unter ande­rem im Buch:

  • Ansprache vom 5. Dezember 1955 in Montgomery bei Protestversammlung zu Busboykott
  • Ansprache vom 28. August 1963 im Rahmen des „Marsches auf Washington für Jobs und Freiheit“: „Ich habe einen Traum“
  • Predigt vom 13. September 1964 in Ost-Berlin in der Marienkirche
  • Rede vom 10. Dezember 1964 anläss­lich Entgegennahme des Friedensnobelpreises: „We shall overcome“
  • Auszüge der Ansprache vom 4. April 1967 in New York gegen den Krieg in Vietnam
  • Schluss der Ansprache vom 3. April 1968 in Memphis im Rahmen des Müllarbeiterstreiks: „Ich bin auf dem Gipfel des Berges gewesen“

Martin Luther King: Ich habe einen Traum. Ein Lesebuch
Herausgeber: Heinrich Grosse
192 Seiten
Patmos 2018
ISBN: 978–3‑8436–1037‑7
20 Euro

„Quendel“ von Caroline Ronnefeldt

Eigentlich hat das Buch ja „nur“ 448 Seiten, aber die Schrift ist ziem­lich klein, sodass es schon etwas dau­ert, bis man durch ist. Es geht sehr ruhig und gemäch­lich los an einem ent­spann­ten Spätsommertag im Hügelland, das sicher nicht nur mich an das Auenland erin­nert. Die Hobbits hei­ßen in Caroline Ronnefeldts Buch Quendel, sie sind klei­ne Leute, essen gern, rau­chen hin und wie­der ein Pfeifchen (die Männer), pfle­gen ihre Gärten, sind zumeist gesel­lig und haben jede und jeder so ihre Eigenarten.

Der Quendel Bullrich Schattenbart, der allein lebt, sei­nem Neffen Karlmann frü­her oft alte Geschichten erzähl­te, sei­ner Nachbarin Hortensia auch mal aus dem Weg geht und der vor allem Kartenschreiber ist, beschließt nach einem aus­gie­bi­gen Frühstück mehr oder weni­ger spon­tan, etwas Ungeheuerliches zu tun: Er will in den Finster, den gro­ßen, düs­te­ren, unheim­li­chen Wald gleich neben­an, der von allen Quendeln tun­lichst gemie­den wird. Auf Bullrich Schattenbars schö­nen, detail­rei­chen Karten der Gegend ist der Finster ein wei­ßer Fleck, und das soll sich nun ändern.

Der Quendel begibt sich also allein und ohne jeman­dem etwas davon zu sagen in den Finster. Und kehrt am Abend nicht zurück nach Hause. Seine Freunde und Nachbarn mer­ken das bald, und vier von ihnen bre­chen zusam­men auf, um ihn zu suchen. Es wird eine lan­ge Nacht. Denn etwas stimmt nicht im Hügelland, an ver­schie­de­nen Stellen sind uner­klär­li­che hel­le Lichter zu sehen, leuch­ten­der Nebel und Löcher, die in ein ande­res, wüs­tes Land zu füh­ren schei­nen, außer­dem gru­se­li­ge Erscheinungen, die all­zu real wirken.

Caroline Ronnefeldt nimmt sich mit dem Erzählen ihrer Geschichte Zeit. Sie sagt mit vie­len Worten, was man auch deut­lich kür­zer hät­te hal­ten kön­nen, aber so zieht es einen beim Lesen auch wirk­lich in die­se ande­re Welt, in die Geschehnisse die­ses Tags oder bes­ser: die­ser Nacht. Die Quendel blei­ben nicht nur Namen, son­dern Persönlichkeiten ent­ste­hen, jede und jeder für sich. Es sind noch mehr Quendel in die­ser Nacht unter­wegs, aber man ver­liert nie den Überblick. Und es baut sich eine gespann­te, durch­aus dunk­le Stimmung auf, geht es für die vier Quendel, die Bullrich Schattenbart suchen, doch bald um Leben und Tod.

Was geschieht im Hügelland, wohin ist Bullrich Schattenbart ver­schwun­den, wird er wie­der auf­tau­chen? Nicht auf alle Fragen gibt es am Ende des Buchs eine Antwort, eine Fortsetzung dürf­te also fol­gen. Die Umschlagillustration und die Karte vom Hügelland im Umschlag sind von der Autorin, die mit „Quendel“ ihren ers­ten Roman vor­legt. Sie greift alte Sagen unse­rer Welt auf und schwelgt in Worten und in ihrer Geschichte. Zauberer, Elben und ande­re fan­tas­ti­sche Wesen aus dem Hobbit-Universum tau­chen übri­gens nicht auf und Menschen sind nur mehr eine (ziem­lich nega­ti­ve) Erinnerung. Der Schrecken der lan­gen Nacht löst sich auch mit dem neu­en Morgen nicht auf, es ist nicht ein­fach alles wie­der gut. Die Quendel haben ein Problem und müs­sen es ange­hen. Wie, das wird ein wei­te­res Buch zeigen.

Caroline Ronnefeldt: Quendel
Lektorat: Emily Huggins
448 Seiten
ab 14 Jahren
ueber­reu­ter 2018
ISBN: 978–3‑7641–7077‑6
19,95 Euro

„Wortwächter“ von Akram El-Bahay

Auch das neue Kinderbuch von Akram El-Bahay führt auf direk­tem Weg in die Welt der Fantasie. Beziehungsweise in eine Welt wie unse­re, in der aller­dings fan­tas­ti­sche Dinge gesche­hen. Man bekommt schon einen ziem­lich kon­kre­ten Einblick, wenn man sich das schö­ne, sehr anspre­chen­de Buchcover genau­er anschaut: Die Helden sind zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen, schät­zungs­wei­se elf, zwölf Jahre alt. Die Aufmachung des Covers ver­rät, dass die­se bei­den ein Abenteuer erle­ben, und dabei spie­len Bücher, eine gol­de­ne Feder und beschrie­be­ne Seiten eine Rolle. Das Abenteuer führt nach London zum Big Ben, nach Ägypten zur Sphinx, nach Paris in den Louvre zur Mona Lisa und nach Amerika zu den Präsidentenköpfen. Vielleicht sind das etwas zu vie­le Informationen? Vielleicht aber auch nicht, denn natür­lich pas­siert auf den 384 Seiten des Buches noch viel, viel mehr und die Frage ist sowie­so, wie das alles zusammenhängt.

Der Held des Buches ist Tom, zwölf Jahre alt, aus Deutschland, der die Sommerferien in England in Stratford-upon-Avon bei sei­nem Onkel David ver­brin­gen soll, den er vor­her noch nie getrof­fen hat. Seine Eltern holen in den sechs Wochen ihre Flitterwochen in Paris nach, sind also nicht vor Ort. Gleich am ers­ten Tag geht es mit Merkwürdigkeiten los, so ist das alte Häuschen in der Shakespeare-Stadt vol­ler Bücher und hat dafür weder Internet noch Computer noch Fernseher. Onkel David kann mit Tom nichts anfan­gen und hat einen selt­sa­men Diener, der Tom mit „gnä­di­ger Herr“ anspricht. Tom befürch­tet das Schlimmste, aber wenig über­ra­schend wer­den die­se Ferien das glat­te Gegenteil von langweilig.

Unter ande­rem, weil Onkel David ver­schwin­det, das Mädchen Joséphine auf­taucht und Tom eine Buchseite fin­det, die sich von selbst voll­schreibt mit Dingen, die gera­de erst pas­sie­ren oder die Tom denkt. Die Seite wird zu Toms stän­di­gem Begleiter bei der Suche nach einem magi­schen Gegenstand, den er für Onkel Davids Rettung benö­tigt. Auf der aben­teu­er­li­chen Reise um die hal­be Welt trifft Tom jede Menge inter­es­san­te bis fan­tas­ti­sche Leute und Wesen, die ihm hel­fen, bekommt es aber auch mit mäch­ti­gen Gegnern zu tun …

Ja, es geht um Bücher und Wörter, wel­che Welten sie eröff­nen und Macht sie (in fan­tas­ti­schen Geschichten) haben kön­nen. Dabei ist Tom kein Leser, er liest höchs­tens mal Sportzeitungen, heißt es am Anfang, ganz anders Joséphine, die Bücher ver­schlingt und all die bekann­ten Autoren (und Autorinnen) kennt. Tom hat es umge­ben von Lesebegeisterten stre­cken­wei­se nicht leicht, trägt das aber mit Fassung, was sym­pa­thisch ist, und auch sonst folgt man ihm gern bei die­sem span­nen­den, dicht geschrie­be­nen Abenteuer, bei dem ins­be­son­de­re Toms fan­tas­ti­sche Buchseite für das ein oder ande­re Grinsen sorgt. Ein schö­nes Buch, das Spaß beim Lesen und Lust aufs Lesen macht.

Akram El-Bahay: Wortwächter
Umschlagillustration: Maximilian Meinzold
Lektorat: Emily Huggins
384 Seiten
ab 11 Jahren
ueber­reu­ter 2018
ISBN: 978–3‑7641–5118‑8
14,95 Euro