Viel sitzen, viel stehen, immer dieselben Bewegungen machen und zu wenig bewegen – so geht es vielen, und irgendwann wird das zum Problem. Dann merkt man den Rücken, den Nacken, die Schultern, die Hüfte, die Knie und versteht, dass man etwas ändern muss, wenn man nicht dauernd mit Schmerzen zu tun haben will. Bis Anfang dreißig verzeihen die Muskeln viel, schreibt Ellen Fischer gleich am Anfang des Buches, aber dann bauen sie irgendwann ab.
Die Muskeln, eine spannende Sache! Um sie geht es also im Buch, und zwar im ersten Teil eher theoretisch: „So funktionieren Muskeln“, und im zweiten praktisch, mit Übungen: „So lösen Sie Verspannungen“. Auf den ersten Teil sollte man allerdings auf keinen Fall verzichten, denn bei aller Theorie steckt er voller wertvoller praktischer Tipps. Man erfährt, wie Muskeln aufgebaut sind und wie sie funktionieren, wie Verspannungen entstehen und man Entspannung findet und was man bei akuten und chronischen Schmerzen machen kann.
Damit Muskeln möglichst schmerzfrei und entspannt sind, muss man in guter Kondition sein. Wie man die Kondition – Kraft, Ausdauer, Koordination, Dehnfähigkeit und Schnelligkeit – verbessern kann, beschreibt die Autorin kurz und übersichtlich. Logisch, dass beim Thema Muskeln und Training der Muskelkater Erwähnung findet: Muskelkater sei auch „auf mikroskopisch kleine Risse in den Muskelfasern und dem sie umhüllenden Bindegewebe zurückzuführen“ und der Schmerz „ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Muskulatur überfordert wurde – was nicht zur Verbesserung der Kondition beiträgt.“
Muskeln und Faszien sind nicht zu trennen, aber wie war das mit dem Faszientraining und der Faszienrolle? Wer schon mal mit einer solchen Faszienrolle trainiert hat, weiß, dass das durchaus unangenehm werden und weh tun kann. Durch zu viel Druck könnten zarte Faszien sogar zerrissen werden, erklärt die Autorin: „Wenn es weh tut, sollten Sie das als Warnsignal ernst nehmen. Glauben Sie niemandem, der behauptet, es sei gut für die Gesundheit, sich zu quälen!“
Schön, dass das mal jemand so klar und deutlich sagt. Ich finde zum Beispiel Rückenmassage gut und musste mir kürzlich eine neue Physiotherapeutin suchen, weil die, bei der ich bisher war, weggezogen ist. Bei der ersten Nachfolge-Kandidatin wäre ich während der Massage zeitweise fast die Wände hochgeklettert, so schmerzhaft war es. „Streicheln bringt ja nichts“, meinte die Physiotherapeutin im Anschluss. Und ich suchte mir eine neue. Ein bisschen auch, weil ich in dieser Zeit in Ellen Fischers Buch diesen Satz las: „Schmerzhaftes Durchkneten oder forciertes Dehnen von Muskeln über die Schmerzgrenze hinaus ist oft eher kontraproduktiv.“
Sehr interessant fand ich auch die Ausführungen der Autorin zum Thema Überbeweglichkeit. Wer sich beim Yoga extrem dehnen kann, im Stehen mit durchgestreckten Beinen die Hände einfach so auf den Boden bekommt oder die Finger aus Spaß grausig verbiegt, ist nicht unbedingt besonders gut in Schuss, sondern vielleicht überbeweglich. Damit das nicht zu Problemen führt, sollte man „sich beim Dehnen eher zurückhalten und etwas mehr für die Kraft tun“, so die Autorin.
Am Ende des ersten Teils sind auf Fotos häufig verspannte Muskeln gekennzeichnet und es wird auf die passenden Übungen im zweiten Teil verwiesen. Ebenso findet sich im Buchumschlag eine Übersicht, welche Übungen bei welchen Schmerzen gut geeignet sind.
Man kann sich jetzt schon denken, dass die Übungen eher sanft und nicht schmerzhaft sind. Wie der Titel des Buchs verrät, handelt es sich um osteopathische Techniken, zum Beispiel gezielte Positionierung und sanfter Druck. Man braucht als Hilfsmittel Dinge wie eine Matte, eine Wärmflasche, Kissen und kleine Bälle, nichts Außergewöhnliches. Die Übungen stehen nicht isoliert da, es gibt immer umfassende Erklärungen und Tipps. Sie sind Schritt für Schritt genau erklärt, dazu kommen ein oder mehr Fotos. Ich habe bisher zwei Übungen ausprobiert und sie als angenehm empfunden. Ob sie etwas bewirken, wird die regelmäßige Anwendung und die Zeit zeigen.
Die Autorin betont auch, dass Entspannen allein nicht genug ist. Um „die muskuläre Balance wiederherzustellen“, muss im ersten Schritt der verspannte Muskel entspannt, im zweiten Schritt aber auch sein geschwächter „Gegenspieler“ trainiert und gestärkt werden. Schwerpunkt dieses Buches ist allerdings das Lösen von Verspannungen, und darüber erfährt man bei der Lektüre tatsächlich jede Menge. Die Ausführungen der Autorin lesen sich gut und verständlich, selten war es für meine Begriffe zu „fachlich“, aber das kann man dann auch mal ignorieren oder auf später verschieben. Kurzum: Ich fand dieses Buch sehr informativ und hilfreich.
Dr. med. Ellen Fischer: Verspannungen sanft lösen. Selbsthilfe mit osteopathischen Techniken
Lektorat: Annette Gillich-Beltz
169 Seiten
humboldt 2018
ISBN 978–3‑86910–326‑6
19,99 Euro