Soso, die Kinder sind alt genug, werden flügge, verlassen die Eltern oder werden hinauskomplimentiert. Spannendes Thema, das klingt nach guten Geschichten. Birgit Adam lässt in „Eltern allein zu Haus. Wenn Kinder ausziehen“ dreizehn Mütter erzählen. Väter kommen nicht zu Wort, und offenbar ist das kein großer Verlust. Denn die Frauen leben alle im Westen und sind also etliche Jahre – unterschiedlich lang – zu Hause geblieben, um die Kinder großzuziehen. Der Vater war fürs Einkommen zuständig und hielt sich aus Erziehungsfragen raus.
Trotzdem schade, dass kein Mann berichtet, denn Mütter können sich meist sowieso besser artikulieren, wenn es um Gefühle geht. Es wäre doch spannend gewesen, mal die Sicht der Väter zu lesen. Die Mütter erzählen in diesem Buch nichts Überraschendes. Der einen fiel die Trennung und die neue Lebenssituation, in der nicht mehr die Kinder im Mittelpunkt stehen, leichter – der anderen schwerer. Sie machen sich auch nach deren Auszug noch viele Gedanken und wissen, dass sie die Sorgen um Tochter und Sohn nie einstellen können. Erstaunlich viele der Frauen halten ihre Kinder zwischen 20 und 30 Jahren noch nicht für erwachsen, da sie zumindest zeitweise im Elternhaus wohnen oder zum Lebensunterhalt Geld von den Eltern benötigen. Interessant ist auch, wie – und ob! – die Eltern nach dem Auszug der Kinder ihre Beziehung weiterführen.
Jede Geschichte ist anders, im Großen und Ganzen unterscheiden sie sich aber recht wenig, denn, wie gesagt, Handlungsort ist der Westen der Republik und die Kinder gehen nach dem Abi in der Regel auf die Uni. Eine Tochter schmeißt ihr Studium und hatte mal blaue Haare, und eine andere Tochter bricht den Kontakt zu ihrer Mutter gänzlich ab, als diese sich für sie nicht von ihrem neuen Lebenspartner trennen will. Das sind die Berichte, die ein wenig aus der Reihe tanzen. Es muss ja nicht gleich Mord und Totschlag sein, aber wenn ich mir überlege, welche Vielfalt bei diesem Thema möglich gewesen wäre …
Was ist mit Kindern, die bei ihren Eltern bleiben, weil sie zum Beispiel in einem Mehrfamilienhaus leben? Was ist mit Familien aus dem Osten, in denen die Mütter ganz selbstverständlich kurze Zeit nach der Geburt wieder arbeiten gingen und die Kinderbetreuungssituation anders war? Was ist mit Familien, die kein Eigenheim hatten und ihren Kindern kein Studium finanzieren konnten? Und was ist mit den Vätern? Aber nach denen fragte ich ja schon.
Die dreizehn Berichte sind eigentlich Gespräche, Birgit Adam hat sich mit den Frauen unterhalten. Die Fragen der Autorin tauchen im Text auf, auch Überleitungen und Erklärungen, manchmal interpretierend. Die ursprüngliche Mündlichkeit zeigt sich in Wiederholungen, manches ist den Frauen so wichtig, dass sie es mehrmals im Gespräch erwähnen. Diese Mütter wirken sehr abgeklärt, sie haben sich im Griff, auch wenn sie beispielsweise mit der Tochter seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr haben – das wird schon wieder! Vielleicht haben die Frauen das tatsächlich schon alles abgehakt, oder sie wollten nicht zu tief gehen, wer weiß.
Das Buch liest sich gut und schnell. Manche Leserinnen und Leser um die 30 erinnert es vielleicht auch an die eigene Mutter, so wenn es um den Ordnungssinn der Kinder geht – einigen Müttern ist das aufgeräumte Zimmer ziemlich wichtig … Eine große Rolle spielt auch die Selbstständigkeit der Söhne und Töchter, deren Zielstrebigkeit im Leben, wie häufig man sich trifft, wie eng der Kontakt ist. Vielleicht ist es Zufall, aber die Mütter scheinen ihre Söhne generell als pflegeleichter zu empfinden als ihre Töchter. Wenn Sohn und Tochter, schon erwachsen, noch zu Hause leben, fliegen eher zwischen Mutter und Tochter die Fetzen.
Durch die Konzentration auf das Auszugsthema und wenn sie selbst nichts weiter über sich erzählen, bleiben die Frauen zum Teil ziemlich blass, ihre Antworten beliebig. Frauen und Mütter mit Westbiographie dürften sich hier insgesamt wiederfinden, für Ostmütter ist vielleicht der andere Hintergrund interessant. Und zur Mutter-Kind-Beziehung gibt es im Buch natürlich Aussagen, die jeder unterschreiben könnte. Ein nettes Buch also, von dem ich mir aber etwas mehr erwartet hätte.
Birgit Adam: Eltern allein zu Haus. Wenn Kinder ausziehen
Sankt Ulrich Verlag 2010
16,90 Euro
ISBN: 978–3‑86744–159‑9