Für Peter Schmidt ist wirklich der Weg das Ziel, denn er „sammelt“ nicht Orte oder Länder, sondern Straßen. Die Straßen, die er sammelt, befinden sich allerdings in aller Welt, sodass er ziemlich viel herumkommt. Um die 110 Länder hat er schon bereist – und alle Routen, die er als 14-Jähriger mit blauem Kuli im Atlas markierte. Die eingesammelten Routen markiert er rot.
Einsammeln heißt, dass er sie abfährt oder abläuft, überfliegen oder nur an manchen Punkten aufkreuzen zählt also nicht. Man kann sich denken, dass das eine eher abenteuerliche Art des Reisens ist, alles andere als Pauschaltourismus. Nichts mit Flieger, Hotel, Strand, dafür planen, organisieren, Zeitpuffer nicht vergessen und hoffen, dass so weit alles klappt. Das ist insofern bemerkenswert, als Peter Schmidt „anders“ ist: dass seine Pläne aufgehen und alles seine Ordnung hat, ist für ihn wichtiger als für andere, und was bei Gesprächen und Kontakt mit anderen über die Sachebene hinausgeht – wie Emotionen, Mimik, Gestik usw. –, ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln – erst mit 41 Jahren bekam er die Erklärung für dieses Anderssein, er ist Asperger-Autist.
In seinem Buch „Der Straßensammler“ präsentiert er nun einige der Straßen, die er gesammelt hat, in Superlativen: die pannenreichste, die mondigste, die zigarettenreichste, die eisigste, die sonntagsloseste, die legendärste, die moskitoreichste Straße usw. Man merkt schon an diesen Beispielen, dass der Autor gern mit Sprache spielt und auch mal neue Wörter bildet, regelmäßig tauchen im Buch Ausdrücke auf, die so nicht im Duden stehen, die aber sofort verständlich und dazu treffend sind.
Die Kapitel sind mal länger, mal kürzer, aber nie langatmig. Man kann das Buch von der ersten bis zur letzten Seite hintereinanderweg lesen oder durcheinander, nach Lust und Laune, da die Kapitel in sich geschlossen sind, kaum aufeinander aufbauen. Die Kapitel passen zur Überschrift, wenn die pannenreichste Straße angekündigt ist, geht es auch um Pannen. Erwähnung finden natürlich gleichfalls Begegnungen, Besonderheiten des Landes und wie der weit gereiste Autor mit Unwägbarkeiten zurechtkommt – oder eben nicht.
In Österreich geht er allein und ohne Ausrüstung spontan auf Gletschertour, besteigt in normalen Straßenschuhen die 3774 Meter hohe Wildspitze. In Äthiopien erlebt er im Vulkan Erta Ale die Erdkruste als „brüchig und fragil“, in Alaska auf dem Dalton-Highway sieht er einen Grizzly, aber viel bedrohlicher und nervtötender sind die Mücken, die sich wie Piranhas in Schwärmen auf jeden stürzen, der sich aus dem Auto wagt. Städte kommen vor, doch viel wichtiger sind Landschaften und die Natur: Wüsten und Vulkane vor allem. Naturphänomene erklärt der Autor, der promovierter Geophysiker ist, manchmal, und dann kurz und einfach.
Peter Schmidt reist allein, aber auch mit seiner Frau und den zwei Kindern. Wie es diesen auf den Straßensammelreisen als Reisebegleiter geht, spielt keine Rolle im Buch, hätte mich aber zuweilen interessiert. Das Buch macht neugierig auf ferne Länder und Landschaften, eine Nebenwirkung kann sein, dass man Lust aufs Reisen bekommt. Mich hat es auch neugierig auf die anderen Bücher des Autors gemacht, drei weitere gibt es bereits. Und wer gleich mal schauen will, wer Peter Schmidt ist und wo er aktuell herumreist: Website und Facebook.
Peter Schmidt: Der Straßensammler. Die unglaublichen Erlebnisse eines autistischen Weltreisenden
288 Seiten
Patmos Verlag 2016
ISBN: 978–3‑8436–0832‑9
19,99 Euro