Fünf Fragen an eine Biografin

(Petra Busch)

1. Warum schreibst Du Biografien für ande­re Menschen?
Das hat meh­re­re Gründe. Zum einen ist es Teil mei­ner Arbeit als Journalistin und Texterin. Ein wun­der­schö­ner Teil! Der ist unglaub­lich span­nend. In ein ande­res Leben ein­tau­chen, gemein­sam alte Erinnerungen auf­spü­ren, zuhö­ren, Fragen stel­len, schließ­lich aus dem Gehörten ein Buch schrei­ben: Das ist Leben pur.

Zum andern gera­ten Lebenserinnerungen in unse­rer Zeit viel zu schnell in Vergessenheit. Oder es gibt erst gar kei­nen Platz für sie. Was wis­sen wir denn über unse­re Urgroßeltern und Großeltern? Über älte­re ver­stor­be­ne Freunde? Ich erle­be es in mei­ner Arbeit als ehren­amt­li­che Hospizhelferin tag­täg­lich, dass nach dem Tode eines Menschen die Angehörigen mer­ken: Wir haben die Oma eigent­lich gar nicht gekannt. Wir haben den Opa nie nach sei­nen Träumen gefragt. Uns nie dafür inter­es­siert, wie die Tante mit den neun Kindern sich wirk­lich gefühlt hat. Solche Dinge. Das macht Kinder und Enkel oft hilf­los und manch­mal auch unver­söhn­lich. Den „Schatz“ per­sön­li­cher Lebenserinnerungen zu bewah­ren, kann da Brücken bau­en. Kann trös­ten. Und zum Lachen brin­gen. Das moti­viert mich und es macht unheim­lich Spaß. Und ganz neben­bei bringt es auch Geld. :)

2. Musst Du die Menschen per­sön­lich tref­fen, für die Du eine Biografie schreibst? Oder genügt Telefonieren, Mailen usw.?
Wer Biografien schreibt, muss sein Gegenüber gut ken­nen­ler­nen, sei­ne Gestik, sein Lachen stu­die­ren, ihm in die Augen sehen. Zwischen den Worten lesen. Oft geht es auch dar­um, ver­schüt­te­tet Erlebnisse wach­zu­ru­fen. Oder dem andern „klei­ne Geheimnisse“ zu ent­lo­cken. Zusammen fül­len wir die „Schatztruhe des Lebens“ mit all den klei­nen und gro­ßen Begebenheiten, die ein Leben so ein­zig­ar­tig machen. Das geht nicht am Telefon oder per E‑Mail.

Meistens besu­che ich die Menschen in ihrem Zuhause. In ver­trau­tem Umfeld erzählt sich’s näm­lich leich­ter. Und natür­lich kommt dann auch bald der Moment, in dem jemand vom Kaffeetisch auf­steht und das Fotoalbum aus dem Eckschrank holt. Oder den Schuhkarton, in dem die Manschettenknöpfe des Papas neben dem Ehering der Cousine und einem Haarbüschel der Schwester lie­gen. Dann weiß ich: Die nächs­ten Stunden ent­füh­ren mich in ein frem­des Leben. Ich höre von glück­li­chen Jahren und bit­te­ren Tagen, von Abschieden, beruf­li­chen Erfolgen und Enttäuschungen, Kindern, Enkeln und auch von Begegnungen mit Krankheit und Tod. Von den Dingen, die jeman­den zu dem Menschen gemacht haben, der er heu­te ist.

Natürlich stel­le ich zwi­schen­durch immer wie­der Fragen, muss das auch „kana­li­sie­ren“, auch mal eine Tempopackung über den Tisch schie­ben. Oder wir besu­chen zusam­men einen Ort von beson­de­rer Bedeutung: ein Café, ein Museum, die Bank vor der Kirche, wo jemand das ers­te Rendezvous mit der Liebe sei­nes Lebens hat­te. Da spru­deln die Erinnerungen nur so. Oder ein Mensch ver­stummt plötz­lich. Auch das habe ich schon erlebt. Es sagt min­des­tens genau­so viel wie tau­send Worte und fließt auch in die Biografie ein.

Wenn ich alle Infos zusam­men habe, vie­le Stunden mit den Menschen ver­bracht, schrei­be ich. Die Kunden erhal­ten immer wie­der die aktu­el­len Texte zwecks Diskussion. Das kann dann natür­lich per Mail gesche­hen falls die Kunden, oft älte­re Menschen mit den Bequemlichkeiten moder­ner Errungenschaften ver­traut sind.

3. Was ist, wenn die Chemie zwi­schen Dir und Deinem Biografie-Kunden nicht stimmt?
Glücklicherweise ist mir das noch nie pas­siert. Natürlich gibt es Menschen, mit denen ich bei der ers­ten Begegnung warm wer­de. Bei ande­ren dau­ert es län­ger, man­che ver­mit­teln mir bis zum Schluss das Gefühl inne­rer Distanz.

Meine Biografie-Kunden sind zwi­schen 60 und 95. Viele sind herz­lich, lebens­lus­tig, besit­zen eine tol­le Ausstrahlung und sind am Leben und der Gesellschaft inter­es­siert. Selbst bei bewe­gen­den Schicksalen. Das beein­druckt mich immer wie­der. Dann gibt es aber auch die Sorte, die ihr Alter als Freibrief fürs Immer-im-Recht-sein sieht. Bei der alles exakt so funk­tio­nie­ren muss, wie sie es sich jetzt gera­de in den Kopf gesetzt hat. Und zwar sofort. Weil die Welt sich nur um sie dreht. Ich ver­su­che dann, mich ein­fach als Profi zu sehen, mir zu sagen: Das ist Dein Kunde. Der ist König. Die Schwierigkeit ist dabei, eine sol­che Biografie authen­tisch umzu­set­zen. Diesen pro­ble­ma­ti­schen oder ver­bit­ter­ten Menschen mit sei­nen Worten über sein Leben spre­chen zu las­sen. Ohne als Biografin etwas zu wer­ten, ohne eine iro­ni­sche Spitze zu hin­ter­las­sen. Ich glau­be, es ist mir bis­her immer gelungen.

Wenn die Chemie ein­mal ein wirk­lich explo­si­ves Gemisch wäre? Zuerst wür­de ich das offen anspre­chen. Könnten wir nicht klä­ren, was zwi­schen uns steht, dann hin­ge mein wei­te­res Verhalten von unse­rem Vertrag ab. Wenn mög­lich, wür­de ich den Auftrag an eine Kollegin ver­mit­teln. Vielleicht käme der Kunde mit jemand anders bes­ser zurecht?

4. Wie auf­wen­dig ist das Biografieschreiben?
Sehr. Ich inves­tie­re vie­le Wochen für ein Biografie-Projekt. Alleine die Gespräche bean­spru­chen meh­re­re Tage. Vorab und auch in der Schreibphase. Natürlich hängt der Aufwand auch vom gewünsch­ten Textumfang ab. Doch ich muss ein Leben von der Geburt bis heu­te ken­nen, um aus­wäh­len zu kön­nen, Schwerpunkte vor­zu­schla­gen. Nicht sel­ten wer­den Erinnerungen zunächst als wich­tig bewer­tet, und wenn wir dann genau­er hin­se­hen zusam­men, tau­chen plötz­lich Dinge auf, denen eine viel grö­ße­re Bedeutung zukommt. Auch das kos­tet Zeit, denn wir müs­sen umstellen.

Übrigens ist auch für den Kunden ein sol­ches Projekt sehr auf­wen­dig: Vieles Vergessene drängt wie­der ins Bewusstsein. Vieles wird auf­ge­wühlt. Und vie­les wird auch nach vie­len Jahren erst ver­stan­den und aus einem neu­en Blickwinkel gesehen.

5. Wie viel von Dir steckt in den Biografien, die Du für ande­re schreibst?
Hoffentlich nichts – außer gutem Handwerk. Sprich: einem feh­ler­frei­en, leben­dig for­mu­lier­ten Text. Autobiografien für Andere zu schrei­ben heißt ja, in die Rolle der Ghostwriterin zu schlüp­fen. Deswegen pas­se ich mich beim Schreiben dem Erzählstil und der Wortwahl der Menschen an. Eine Biografie muss authen­tisch sein, das Wesen eines Menschen ein­fan­gen. Die Leser wol­len „ihren“ Erzähler im Text fin­den, die Stimme des Vaters oder der Großmutter förm­lich hören. Darüber freu­en sie sich genau­so wie über das Erzählte selbst. Und sie erhal­ten eines der wert­volls­ten Dingen, die man sich wün­schen kann: eine Wissensquelle rund um die eige­nen Wurzeln und Familientraditionen. Gleichzeitig hal­ten sie ein Stück span­nen­de Zeitgeschichte in Händen. Darin habe ich als Biografin nichts zu suchen. ;-) Schließlich steht auch nicht mein Name auf dem Buch, son­dern der des Erzählers oder der Erzählerin.

Petra Busch im Netz: Blog und Texte für Menschen.