„Piano Lessons“ von Anna Goldsworthy

Ein Buch über die aus­tra­li­sche Pianistin Anna Goldsworthy und ihre Klavierlehrerin Eleonora Sivan – man soll­te mei­nen, wer das liest, spielt selbst Klavier oder will mehr über die­se bei­den Pianistinnen erfah­ren. Ich spie­le nicht Klavier und kann­te Anna Goldsworthy und Eleonora Sivan nicht. Aber das ist ja gera­de das Spannende an Büchern: dass sie einem im bes­ten Fall neue Welten eröff­nen. Dass „Piano Lessons“ dies kann, ver­mu­te­te ich, als ich in der Verlagsvorschau über das Buch las: im Mittelpunkt die Lehrerin-Schülerin-Beziehung und die­ses Leben für die Musik. Das ist mir fremd, dar­über woll­te ich lesen.

Und das Buch hat mich erreicht und berührt. Obwohl ich vie­les nicht wirk­lich nach­voll­zie­hen kann, denn, wie gesagt, ich spie­le nicht Klavier. Aber das muss man auch nicht, um in die­se Welt ein­zu­tau­chen. Mit sechs Jahren beginnt Anna Goldsworthy Klavier zu spie­len, mit neun Jahren kommt sie zu einer neu­en Lehrerin, Eleonora Sivan, die aus Russland nach Australien emi­griert ist. Einmal pro Woche hat Anna Klavierunterricht und sie merkt sofort, dass die­se Lehrerin anders ist, ihre Herangehensweise an Komponisten und Stücke, die Art, wie sie Klavier spielt und wie sie ihren Schülerinnen und Schülern das Klavierspielen bei- und näherbringt.

Auf rund 270 Seiten beglei­tet die Leserin, der Leser Anna Goldsworthy dabei, wie sie Klavier spie­len lernt, ihre Beziehung zur Lehrerin sich ver­än­dert, ihre Sicht auf Musik sich wan­delt, sie selbst erwach­sen wird. Goldsworthy erzählt chro­no­lo­gisch, die Kapitel sind mit Komponistennamen über­schrie­ben von Bach über Mozart bis Chopin. Sie wirkt nah und per­sön­lich, gibt auch Einblicke in ihr Privatleben, ihre Gedanken- und Gefühlswelt. Eleonora Sivan kommt selbst sehr oft zu Wort in einer Sprache, der man anmerkt, dass es nicht die Muttersprache ist, was aber nur ein Detail dar­stellt und nie lächer­lich wirkt.

Anna Goldsworthy macht mit ihrer Biografie neu­gie­rig auf sich selbst, auf ihr Spiel, auf ihre Lehrerin, auf die Komponisten und die Stücke, die im Buch Erwähnung fin­den. Es war ein denk­wür­di­ger Moment, als ich nach der Lektüre des Buchs auf YouTube ein Video mit Anna Goldsworthy anschau­te und sie zum ers­ten Mal spie­len sah und hör­te … „Piano Lessons“ ist ein Buch für alle, die sich in irgend­ei­ner Weise fürs Klavierspielen inter­es­sie­ren, für star­ke Frauen, Lebensgeschichten und für die Musik. Eigentlich also für alle, oder?

Anna Goldsworthy: Piano Lessons. Mein Weg in die Musik
Aus dem Englischen von Dieter Fuchs
272 Seiten
Verlag Urachhaus 2018
ISBN 978–3‑8251–5127‑0
24 Euro

„Der Tod bringt mich nicht um. Warum ich Bestatterin geworden bin“ von Nicole Rinder

Der Titel und das Coverbild ver­ra­ten es bereits: Dies ist ein sehr per­sön­li­ches Buch. Nicole Rinder erzählt vom Tod ihres Kindes, von ihrem Leben davor und danach. Davor war sie Arzthelferin, woll­te in dem Beruf aber schluss­end­lich nicht wei­ter­ar­bei­ten, nach­dem ihr Sohn vier Tage nach der Geburt gestor­ben war, wegen eines Herzfehlers. Nicole Rinder und ihr Mann hat­ten schon in der spä­ten Schwangerschaft erfah­ren, dass ihr Kind nicht leben wür­de, es war ein lan­ger Abschied.

Danach mach­te sie eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin und begann in einem Bestattungsunternehmen zu arbei­ten, das mehr woll­te (und will) als „nur“ Beerdigungen orga­ni­sie­ren, und zwar die Hinterbliebenen tat­kräf­tig ein Stück auf ihrem Weg des Abschiednehmens und der Trauer beglei­ten. Über ihren Berufsalltag als Bestatterin, über man­che schwe­re Abschiede, schreibt Nicole Rinder empa­thisch und auf den Punkt gebracht, sie fin­det die rich­ti­gen Worte, beschö­nigt nicht den Tod, zeigt aber auch immer Trost und Hoffnung auf. Sie ist über­zeugt, dass eine Bestattung so gestal­tet sein kann, dass die Hinterbliebenen einen guten Ausgangspunkt für ihren Weg der Trauer bekommen.

Diese zwei Perspektiven auf den Tod und die Trauer in einer Person, zum einen als Betroffene, als Hinterbliebene, und zum andern als Bestatterin, die Hinterbliebene beglei­tet, macht das Buch zu etwas Besonderem. Als sehr ange­nehm emp­fand ich die Erzählweise, zwar per­sön­lich und unmit­tel­bar, aber doch mit etwas Abstand und ruhi­gen, über­leg­ten Worten. Es über­rascht nicht, dass man etli­che Gedanken aus dem Buch für sich mit­neh­men kann, und es macht auch neu­gie­rig auf ande­re Bücher der Autorin. Zum Thema Tod und Trauer hat sie zusam­men mit Florian Rauch unter ande­rem „Das letz­te Fest. Neue Wege und heil­sa­me Rituale in der Zeit der Trauer“ und „Wie Kinder trau­ern. Ein Buch zum Verstehen und Begleiten“ verfasst.

Nicole Rinder: Der Tod bringt mich nicht um. Warum ich Bestatterin gewor­den bin
Unter Mitarbeit von Franziska Roosen
Lektorat: Andrea Langenbacher
128 Seiten
Patmos 2017
ISBN: 978–3‑8436–0944‑9
18 Euro

Fünf Fragen an eine Biografin

(Petra Busch)

1. Warum schreibst Du Biografien für ande­re Menschen?
Das hat meh­re­re Gründe. Zum einen ist es Teil mei­ner Arbeit als Journalistin und Texterin. Ein wun­der­schö­ner Teil! Der ist unglaub­lich span­nend. In ein ande­res Leben ein­tau­chen, gemein­sam alte Erinnerungen auf­spü­ren, zuhö­ren, Fragen stel­len, schließ­lich aus dem Gehörten ein Buch schrei­ben: Das ist Leben pur.

Zum andern gera­ten Lebenserinnerungen in unse­rer Zeit viel zu schnell in Vergessenheit. Oder es gibt erst gar kei­nen Platz für sie. Was wis­sen wir denn über unse­re Urgroßeltern und Großeltern? Über älte­re ver­stor­be­ne Freunde? Ich erle­be es in mei­ner Arbeit als ehren­amt­li­che Hospizhelferin tag­täg­lich, dass nach dem Tode eines Menschen die Angehörigen mer­ken: Wir haben die Oma eigent­lich gar nicht gekannt. Wir haben den Opa nie nach sei­nen Träumen gefragt. Uns nie dafür inter­es­siert, wie die Tante mit den neun Kindern sich wirk­lich gefühlt hat. Solche Dinge. Das macht Kinder und Enkel oft hilf­los und manch­mal auch unver­söhn­lich. Den „Schatz“ per­sön­li­cher Lebenserinnerungen zu bewah­ren, kann da Brücken bau­en. Kann trös­ten. Und zum Lachen brin­gen. Das moti­viert mich und es macht unheim­lich Spaß. Und ganz neben­bei bringt es auch Geld. :)

2. Musst Du die Menschen per­sön­lich tref­fen, für die Du eine Biografie schreibst? Oder genügt Telefonieren, Mailen usw.?
Wer Biografien schreibt, muss sein Gegenüber gut ken­nen­ler­nen, sei­ne Gestik, sein Lachen stu­die­ren, ihm in die Augen sehen. Zwischen den Worten lesen. Oft geht es auch dar­um, ver­schüt­te­tet Erlebnisse wach­zu­ru­fen. Oder dem andern „klei­ne Geheimnisse“ zu ent­lo­cken. Zusammen fül­len wir die „Schatztruhe des Lebens“ mit all den klei­nen und gro­ßen Begebenheiten, die ein Leben so ein­zig­ar­tig machen. Das geht nicht am Telefon oder per E‑Mail.

Meistens besu­che ich die Menschen in ihrem Zuhause. In ver­trau­tem Umfeld erzählt sich’s näm­lich leich­ter. Und natür­lich kommt dann auch bald der Moment, in dem jemand vom Kaffeetisch auf­steht und das Fotoalbum aus dem Eckschrank holt. Oder den Schuhkarton, in dem die Manschettenknöpfe des Papas neben dem Ehering der Cousine und einem Haarbüschel der Schwester lie­gen. Dann weiß ich: Die nächs­ten Stunden ent­füh­ren mich in ein frem­des Leben. Ich höre von glück­li­chen Jahren und bit­te­ren Tagen, von Abschieden, beruf­li­chen Erfolgen und Enttäuschungen, Kindern, Enkeln und auch von Begegnungen mit Krankheit und Tod. Von den Dingen, die jeman­den zu dem Menschen gemacht haben, der er heu­te ist.

Natürlich stel­le ich zwi­schen­durch immer wie­der Fragen, muss das auch „kana­li­sie­ren“, auch mal eine Tempopackung über den Tisch schie­ben. Oder wir besu­chen zusam­men einen Ort von beson­de­rer Bedeutung: ein Café, ein Museum, die Bank vor der Kirche, wo jemand das ers­te Rendezvous mit der Liebe sei­nes Lebens hat­te. Da spru­deln die Erinnerungen nur so. Oder ein Mensch ver­stummt plötz­lich. Auch das habe ich schon erlebt. Es sagt min­des­tens genau­so viel wie tau­send Worte und fließt auch in die Biografie ein.

Wenn ich alle Infos zusam­men habe, vie­le Stunden mit den Menschen ver­bracht, schrei­be ich. Die Kunden erhal­ten immer wie­der die aktu­el­len Texte zwecks Diskussion. Das kann dann natür­lich per Mail gesche­hen falls die Kunden, oft älte­re Menschen mit den Bequemlichkeiten moder­ner Errungenschaften ver­traut sind.

3. Was ist, wenn die Chemie zwi­schen Dir und Deinem Biografie-Kunden nicht stimmt?
Glücklicherweise ist mir das noch nie pas­siert. Natürlich gibt es Menschen, mit denen ich bei der ers­ten Begegnung warm wer­de. Bei ande­ren dau­ert es län­ger, man­che ver­mit­teln mir bis zum Schluss das Gefühl inne­rer Distanz.

Meine Biografie-Kunden sind zwi­schen 60 und 95. Viele sind herz­lich, lebens­lus­tig, besit­zen eine tol­le Ausstrahlung und sind am Leben und der Gesellschaft inter­es­siert. Selbst bei bewe­gen­den Schicksalen. Das beein­druckt mich immer wie­der. Dann gibt es aber auch die Sorte, die ihr Alter als Freibrief fürs Immer-im-Recht-sein sieht. Bei der alles exakt so funk­tio­nie­ren muss, wie sie es sich jetzt gera­de in den Kopf gesetzt hat. Und zwar sofort. Weil die Welt sich nur um sie dreht. Ich ver­su­che dann, mich ein­fach als Profi zu sehen, mir zu sagen: Das ist Dein Kunde. Der ist König. Die Schwierigkeit ist dabei, eine sol­che Biografie authen­tisch umzu­set­zen. Diesen pro­ble­ma­ti­schen oder ver­bit­ter­ten Menschen mit sei­nen Worten über sein Leben spre­chen zu las­sen. Ohne als Biografin etwas zu wer­ten, ohne eine iro­ni­sche Spitze zu hin­ter­las­sen. Ich glau­be, es ist mir bis­her immer gelungen.

Wenn die Chemie ein­mal ein wirk­lich explo­si­ves Gemisch wäre? Zuerst wür­de ich das offen anspre­chen. Könnten wir nicht klä­ren, was zwi­schen uns steht, dann hin­ge mein wei­te­res Verhalten von unse­rem Vertrag ab. Wenn mög­lich, wür­de ich den Auftrag an eine Kollegin ver­mit­teln. Vielleicht käme der Kunde mit jemand anders bes­ser zurecht?

4. Wie auf­wen­dig ist das Biografieschreiben?
Sehr. Ich inves­tie­re vie­le Wochen für ein Biografie-Projekt. Alleine die Gespräche bean­spru­chen meh­re­re Tage. Vorab und auch in der Schreibphase. Natürlich hängt der Aufwand auch vom gewünsch­ten Textumfang ab. Doch ich muss ein Leben von der Geburt bis heu­te ken­nen, um aus­wäh­len zu kön­nen, Schwerpunkte vor­zu­schla­gen. Nicht sel­ten wer­den Erinnerungen zunächst als wich­tig bewer­tet, und wenn wir dann genau­er hin­se­hen zusam­men, tau­chen plötz­lich Dinge auf, denen eine viel grö­ße­re Bedeutung zukommt. Auch das kos­tet Zeit, denn wir müs­sen umstellen.

Übrigens ist auch für den Kunden ein sol­ches Projekt sehr auf­wen­dig: Vieles Vergessene drängt wie­der ins Bewusstsein. Vieles wird auf­ge­wühlt. Und vie­les wird auch nach vie­len Jahren erst ver­stan­den und aus einem neu­en Blickwinkel gesehen.

5. Wie viel von Dir steckt in den Biografien, die Du für ande­re schreibst?
Hoffentlich nichts – außer gutem Handwerk. Sprich: einem feh­ler­frei­en, leben­dig for­mu­lier­ten Text. Autobiografien für Andere zu schrei­ben heißt ja, in die Rolle der Ghostwriterin zu schlüp­fen. Deswegen pas­se ich mich beim Schreiben dem Erzählstil und der Wortwahl der Menschen an. Eine Biografie muss authen­tisch sein, das Wesen eines Menschen ein­fan­gen. Die Leser wol­len „ihren“ Erzähler im Text fin­den, die Stimme des Vaters oder der Großmutter förm­lich hören. Darüber freu­en sie sich genau­so wie über das Erzählte selbst. Und sie erhal­ten eines der wert­volls­ten Dingen, die man sich wün­schen kann: eine Wissensquelle rund um die eige­nen Wurzeln und Familientraditionen. Gleichzeitig hal­ten sie ein Stück span­nen­de Zeitgeschichte in Händen. Darin habe ich als Biografin nichts zu suchen. ;-) Schließlich steht auch nicht mein Name auf dem Buch, son­dern der des Erzählers oder der Erzählerin.

Petra Busch im Netz: Blog und Texte für Menschen.