„Mit Salome sind wir komplett“ spielt zur Hälfte in Äthiopien und zur Hälfte in Deutschland. Man lernt Salome also schon kennen, bevor sie als Adoptivkind nach Deutschland kommt. Salome ist acht Jahre alt, sie lebt in einem Kinderheim in der Nähe von Addis Abeba. Wer ihre Eltern sind, weiß niemand, sie wurde als Neugeborenes in Plastikfolie eingewickelt bei einer Kirche gefunden und ins Heim gegeben. Dort hat sie zwar Hiwot, die kocht und die Kinder bemuttert, wenn sie krank sind, sie hat ihren Freund Elias und eine kleine Ziege, Nuug. Doch eine Familie hat sie nicht.
In Deutschland hat Salome mit einem Mal Eltern – Ulli und Tobias –, einen neuen Bruder, den zehnjährigen Jonathan, und eine Oma, „die Piekfeine“. Die Menschen sind ihr fremd, die Sprache ist ihr fremd, das Essen ist ihr fremd, das Wetter ist ihr fremd. So verstummt Salome und isst kaum noch. Doch es wird wieder. Ihre neuen Eltern bringen ihr große Zuneigung entgegen. Ihr neuer Bruder lehnt sie erst ab (er hätte lieber einen Irischen Wolfshund gehabt), dann rappeln sie sich aber zusammen. Als Salome ausreißt, trifft sie auf den Ewig Summenden, Mamdi, der aus der Elfenbeinküste stammt. Er wird Teil der Familie und hilft Salome, im neuen Land heimisch zu werden.
Die Autorin, Jana Frey, hat ein gutes Händchen für Details und ein gutes Gefühl für Sprache. Sie zeigt Menschen: Hiwot, die liebevolle Distanz zu den Heimkindern wahrt und weint, wenn Babys, die neu ins Heim gekommen sind, sterben. Die gelähmte Naima, die im Heim Märchen erzählt und den Mädchen die Haar flicht. Monsignore Barnabas, den Salome „Kindereinsammler“ nennt, weil er für die Heimkinder Adoptiveltern findet und sie dann aus dem Heim weggehen. Salomes Fast-Freundin Sanou, deren Brüder gestorben sind, deren Mutter weggelaufen ist und deren Vater sie verprügelt hat. Das ist manchmal harter Tobak. Aber das steht nicht im Mittelpunkt (denn der Mittelpunkt ist Salome), das läuft so mit. Und Jana Frey erzählt es aus Salomes Perspektive, für die dieses Leben und solche Lebensgeschichten Alltag sind. Sie erzählt es so, dass es für Kinder ab neun Jahren genau richtig ist. Und im Grunde ist das Buch so warm und sonnig wie das wunderschöne Cover: Es ist eine hoffnungsvolle Geschichte mit einem überraschenden und glücklichen Ende.
Salome kommt sehr echt und liebenswert rüber. Es wird nicht nur aus ihrer Perspektive erzählt, sondern auch aus der ihres Adoptivbruders Jonathan – nicht aber aus Sicht der Erwachsenen. So gibt es nichts zu lesen über Adoptionsformalitäten, darüber, wie Tobias und Ulli zu Salome kamen und wie sie die erste Zeit mit ihr erleben. Die Autorin konzentriert sich im Buch auf Abschied und Ankommen, weswegen die Geschichte nur im äthiopischen Kinderheim und im Haus der Adoptiveltern spielt, in einem geschützten Raum. Erst als Salome sich langsam sicher fühlt in ihrer Adoptivfamilie und in ihrem neuen Zuhause, wagt sie sich nach draußen – in eine Kunsthalle, was natürlich kein Zufall ist.
Die Kapitelnummern im Buch stehen immer auf deutsch und auf amharisch – Salomes Sprache – da, also „Eins“ und „And“, „Zwei“ und „Hulät“ usw. Und das ist bezeichnend für das Buch. Denn Salomes Leben beginnt nicht erst in ihrer deutschen Familie. „Vergiss nicht, Salome, Afrika ist in dir drin. In deinem Herzen. Für immer“, sagt Mamdi jedes Mal, wenn er sich von Salome verabschiedet. Und so ist es. „Mit Salome sind wir komplett“ ist ein sehr schönes Buch. Für Leute ab neun Jahren und nicht nur, wenn sie auf irgendeine Weise etwas mit Adoption zu tun haben.
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Mit Salome sind wir komplett
von Jana Frey
illustriert von Dagmar Henze
Ueberreuter 2012
136 Seiten
ISBN: 978–3‑8000–5587‑6
ab 9 Jahren
9,95 Euro