Gastrezension: „Die Wilden. Eine französische Hochzeit“ von Sabri Louatah

Im Zentrum des Buches steht die aus Algerien stam­men­de Familie Nerrouche – und mit ihr das gan­ze Dilemma der Integration der nord­afri­ka­ni­schen Einwanderer, die mitt­ler­wei­le in zwei­ter oder drit­ter Generation in Frankreich leben, aber eben immer noch in vie­len Situationen zu spü­ren bekom­men, dass sie nicht wirk­lich dazu­ge­hö­ren. Als nun die gro­ße Chance besteht, dass erst­mals ein Kandidat ara­bi­scher Herkunft zum Präsidenten gewählt wird, sehen vie­le der Nerrouches die Erfüllung ihrer Hoffnung auf Emanzipation und Anerkennung zum Greifen nahe …

Der Einstieg in das Buch kos­tet eini­ge Überwindung, denn es ist schon recht schwie­rig, den Überblick über die weit­ver­zweig­te Familie Nerrouche und ihr Umfeld zu behal­ten. Autor und Verlag scheint die­ses Problem bewusst gewe­sen zu sein. Deshalb fin­det der Leser im Buch einen Stammbaum, ein Lesezeichen mit einer Liste aller wich­ti­gen Personen und ein aus­führ­li­ches Personenverzeichnis im Anhang. All das moti­viert aber nur bedingt zum Lesen, zumal die Handlung in den ers­ten Kapiteln noch etwas lang­at­mig ist. Als dann jedoch – direkt am Tag vor dem alles ent­schei­den­den Wahlgang – ein Attentat auf den ara­bisch­stäm­mi­gen Kandidaten Chaouch ver­übt wird, über­schla­gen sich die Ereignisse und das Buch nimmt deut­lich an Fahrt auf. Während die Rolle von Krim und Nazir Nerrouche recht schnell klar wird, blei­ben die Hintergründe des Attentats im Dunkeln – eben­so wie die Absichten eini­ger hoch­ran­gi­ger Politiker und Ermittler …

So ist es über den Rest der knapp 700 Seiten hoch­span­nend. Doch wer wis­sen will, wie alles aus­geht, muss sich noch zwei Jahre gedul­den, denn die Geschichte ist als Dreiteiler ange­legt: Teil zwei wird im September 2018 und Teil drei lei­der erst 2019 erschei­nen. Das ist etwas lang, wie ich fin­de, zumal die Bücher im fran­zö­si­schen Original bereits vor­lie­gen. Ungeachtet des­sen bie­tet die­ser ers­te Teil – hat man sich erst ein­mal durch die ers­ten Kapitel gekämpft – packen­de Lektüre und einen inter­es­san­ten Blick auf die fran­zö­si­sche Gesellschaft.

Rezension von Stefan Taudus, www.technik-uebersetzer.com

Sabri Louatah: Die Wilden. Eine fran­zö­si­sche Hochzeit
Aus dem Französischen von Bernd Stratthaus
704 Seiten
Heyne Encore 2017
ISBN: 978–3‑453–27119‑7
18 Euro

„Prager Fragmente“ von Roman Achmatow

Im Herder-Verlag gibt es eine Reihe mit dem Titel „Ein Jahr in …“ – Menschen aus Deutschland, die ein Jahr in einem ande­ren Land gewohnt und gear­bei­tet haben, schrei­ben über das, was sie in die­ser Zeit erlebt und wie sie das frem­de Land ken­nen­ge­lernt haben. Diese Art von Reisebericht mag ich, des­we­gen war ich auch neu­gie­rig auf „Prager Fragmente“. Roman Achmatow stu­diert in Leipzig und ver­brach­te ein Semester in Prag. Zwölf kur­ze Texte, Achmatow nennt sie Essays, sind in sei­nem Buch ver­sam­melt, dazu kom­men noch Vor- und Nachwort, das alles auf 92 Seiten.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat und einem Foto, und das sind nicht die ein­zi­gen Sinnsprüche im Buch, was nicht so mein Ding ist, aber man hat ja die Wahl, sie ent­we­der zu gou­tie­ren oder igno­rie­ren. Was erzählt die­ses Buch über Prag? Es bie­tet eini­ge Einblicke, die man eher dann bekommt, wenn man nicht auf Kurzurlaub, son­dern län­ge­re Zeit vor Ort ist – und ein paar Schritte zur Seite geht und beob­ach­tet. Zum Beispiel Menschen, die in der Nacht noch in den sonst über­quel­len­den Touristenstraßen und ‑plät­zen unter­wegs sind, eine Versammlung des tsche­chi­schen Pegida-Pendants „Blok Proti Islamu“ oder ein bun­tes Weinfest. Und manch­mal beob­ach­tet der Autor sich selbst, wenn er um den bes­ten Platz in der Metro „kämpft“, auf Wohnungssuche ist oder sich nicht von einem Betrüger übers Ohr hau­en lässt.

Die Geschichten lesen sich wit­zig und kurz­wei­lig, übers Studium an der Prager Uni ist erstaun­li­cher­wei­se nichts dabei, das hät­te ich inter­es­sant gefun­den, es hät­ten auch mehr Seiten bzw. Texte über das Leben über­haupt in die­ser schö­nen und bei Touristen ja extrem belieb­ten Stadt sein dür­fen. Allerdings: Auf 92 Seiten passt nicht die Welt und das Buch ist „Prager Fragmente“ über­schrie­ben, insofern …

Roman Achmatow: Prager Fragmente
92 Seiten
Selbstverlag, 2017
10 Euro

„Verliebt, verlobt, verbockt. Meine türkisch-deutsche Traumhochzeit“ von Meltem Kaptan

Viel rosa Farbe, eine thea­tra­lisch-ver­zwei­fel­te Braut und als Titel „Verliebt, ver­lobt, ver­bockt“ – das Cover ist ja mal wirk­lich ein Hingucker und eine kla­re Ansage – hier wird’s komisch! –, dazu muss man gar nicht wis­sen, dass die Autorin, Meltem Kaptan, auch Schauspielerin und Comedienne ist. War mir vor­her nicht bekannt, ich fand ein­fach Cover und Klappentext span­nend und hab mich über­ra­schen lassen.

Los geht es mit einem Heiratsantrag im strö­men­den Regen in Prag, wei­ter mit einem Trauzeugen-Casting im Café über Brautkleidsuche, Abnehmterror und Familientreffen bis zum Finale, das theo­re­tisch die Traumhochzeit wäre, aber prak­tisch … nun ja. Das Paar, um das sich die Geschichte dreht, sind Leyla Güneş, Schauspielerin und Tochter tür­ki­scher Einwanderer, „gebo­ren in der Pumpernickelhochburg Gütersloh und auf­ge­wach­sen in der Mähdreschermetropole Harsewinkel-Marienfeld“, und Nils Bockheim, Rechtsanwalt, Fußballfan und „furcht­bar deutsch“, wie es im Klappentext heißt. Bei der Hochzeitsplanung läuft so eini­ges schief bzw. anders, als es sich die Braut vor­ge­stellt hat, denn sowohl ihre als auch Nils‘ Eltern mischen bei der Suche nach der Hochzeitsfeier-Location und der pas­sen­den Musik kräf­tig mit. Familie, Freunde und Co. stra­pa­zie­ren die Nerven des Brautpaars über­haupt ganz gewal­tig, kein Wunder, dass Leyla tags­über öfter am Rande des Wahnsinns steht und nachts von Albträumen geplagt wird.

Die Geschichte ist hem­mungs­los über­zeich­net und treibt das Thema tür­kisch-deut­sche Hochzeitsplanung auf die Spitze, dass es zum Lachen ist, aber es schwingt doch auch ein Quäntchen ech­te Verzweiflung (und ein paar ande­re Gefühle) mit. Wird das Paar es trotz allem bis zur Hochzeit schaf­fen oder las­sen sie es sich ver­bo­cken – vom „Schwiegermonster“, der Frutarier-Esoterik-Schwägerin oder dem tau­ben tür­ki­schen Onkel? Die rund 140 Seiten sind vol­ler komi­scher Situationen, Personen und Gespräche, aber nicht so, dass es einem auf den Geist gehen wür­de. Als Extra gibt’s noch Fußnoten, in denen vor allem tür­ki­sche Wörter und Wendungen über­setzt und kom­men­tiert wer­den, wer Fußnoten an sich nicht lei­den kann, soll­te die­se den­noch lesen, sonst ver­passt er was. Güle güle! (-> Fußnote Nummer 42, Seite 81)

P1100729

Meltem Kaptan: Verliebt, ver­lobt, ver­bockt. Meine tür­kisch-deut­sche Traumhochzeit
Lektorat: Nici Heinrichs
144 Seiten
Lappan Verlag 2016
ISBN: 978–3‑830–33440‑8
12,99 Euro