Die Büro-Alltags-Bibel weiß: Ich bin eine Eule

Es gibt nur eine Bibel – dach­te ich. Jochen Mai hat nun aber auch eine geschrie­ben, und nach deren Lektüre kann ich sagen, dass es eine Gemeinsamkeit gibt: Man soll­te die Bibel-Bibel und die Mai-Bibel eher in Häppchen als in einem Aufwasch lesen, so las­sen sie sich bes­ser ver­dau­en. Davon spä­ter mehr. Es ist ja schon die zwei­te Bibel, die Mai schreibt, also ist mei­ne Titelfixiertheit ein alter Schuh, fürch­te ich. Allerdings habe ich die Mai-Bibel Nummer 1, die 2008 erschie­ne­ne „Karriere-Bibel“, nicht gele­sen und darf mich kurz zu dem Thema aus­las­sen. In der Einleitung erklärt Mai, dass das Buch so hei­ße, weil es „den Versuch unter­nimmt, so voll­stän­dig wie nötig und so kom­pakt wie mög­lich das ent­schei­den­de Wissen für das Büroleben zu destil­lie­ren.“ Findet Ihr die­se Erklärung aus­rei­chend? Ich ja nicht. Aber wie wich­tig der Buchtitel für den Verkaufserfolg eines Buches ist, kann man anders­wo sehr schön nach­le­sen, zum Beispiel in einem ZEIT-Artikel, bit­te hier ent­lang, klick.

Das Äußere die­ses Buches erin­nert mich eher an eine Fibel, an etwas, das mit Schule zu tun hat, Schulheftdesign. Dem Titel sind aller­dings die Bindestriche ver­lo­ren gegan­gen, was für eine Fibel ganz schlecht wäre, wegen Vorbildwirkung usw. Eine net­te Farbe, leuch­ten­des Orange, und eine gerif­fel­te Oberfläche, die sich gut anfasst. Die Blätter sind ordent­lich dick, was man von denen vie­ler Bibel-Bibel-Ausgaben nicht behaup­ten kann.

In der Einleitung schreibt Jochen Mai auch: „Die männ­li­che Schreibweise ver­wen­de ich übri­gens allein wegen der leich­te­ren Lesbarkeit. Selbstverständlich möch­te ich mit die­sem Buch bei­de Geschlechter anspre­chen.“ Nun ja. Es ist weni­ger Aufwand, die­se Schreibweise zu ver­wen­den. Aber Männer und Frauen kön­nen auch auf­tau­chen, ohne das berühmt-berüch­tig­te Binnen‑I zu bemü­hen oder immer von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu reden. Eine net­te Variante ist bei­spiels­wei­se, abwech­selnd den Kollegen, die Chefin usw. zu bemü­hen. Gerade in einem Buch, das sich mit dem Büroalltag beschäf­tigt, mutet es etwas selt­sam an, wenn immer nur von Männern die Rede ist. Ganz feh­len die Frauen natür­lich nicht – zum einen dif­fe­ren­zie­ren die Studien, Untersuchungen usw., auf die Mai sich bezieht, zwi­schen Mann und Frau, zum ande­ren lässt es sich offen­bar manch­mal ein­fach nicht ver­mei­den, die Frau beim Namen zu nen­nen. Auf Seite 112 ist von „Migränikerinnen“ die Rede, auf Seite 131 wech­selt Mai von „Prahlhans“ und „Hundertsassa“ zur Frau, über die getratscht wird: Sie sei nicht belast­bar und habe ihr Leben nicht im Griff. Doch genug davon und end­lich zum Inhalt.

Um es vor­weg­zu­neh­men: Das Buch hat mir gefal­len, ich kann es emp­feh­len. Es leis­tet das, was man von einem Ratgeber erwar­ten kann, und zwar auf eine sehr unter­halt­sa­me und rela­tiv unauf­dring­li­che Art und Weise. Ich wer­de direkt ange­spro­chen, und zwar gesiezt, was ich löb­lich fin­de, denn wir sind ja hier nicht bei Ikea. Jochen Mai stellt in 24 Kapiteln diver­se Bürolebenslagen vor, bemüht Statistiken sowie Untersuchungen und gibt gehalt­vol­le Tipps. Dass es 24 Kapitel sind, muss­te ich mir erst erzäh­len (aus­zäh­len), denn das Buch ist in Uhrzeiten unter­glie­dert. Es geht los um 7 Uhr, wenn der Wecker klin­gelt und man sich aus dem Bett wäl­zen soll­te, ob man nun Eule oder Lerche ist. Ich weiß nun: Ich bin eine Eule. Man könn­te auch Frühaufsteher bzw. Langschläfer sagen, und wel­cher Typ man ist, ent­schei­det sich wohl schon im Mutterleib. Ändern lässt sich das nicht, aber für die Eulen gibt es Tipps, wie sie frühs bes­ser aus dem Bett kom­men, dan­ke dafür.

Weitere Themen sind u. a. Pendeln, Konferenz, Kopfschmerzen, Büroflirt, Peinlichkeiten, Neinsagen, Selbstmarketing, Smalltalk sowie Schlaf. Im E‑Mail-Kapitel geht Mai auf Grußformeln und deren Subtext ein, im Mahlzeit-Kapitel ver­gleicht er das Alleinessen mit Masturbation, bei den Bürotypen tau­chen Frauen auf („Zicke“, „Sensible“) und wir erfah­ren, dass auf einem nor­ma­len Schreibtisch 100 Mal mehr Bakterien vor­kom­men als auf einer Klobrille …

Wie anfangs erwähnt: Es macht sich gut, die Mai-Bibel häpp­chen­wei­se zu lesen, ansons­ten schwir­ren die Typen (Bürotypen, Schreibtischtypen, Chronotypen …) und die Tipps all­zu sehr im Kopf her­um. Die Kapitel muss man nicht hin­ter­ein­an­der­weg lesen, da sie in sich geschlos­sen sind. Angesprochen wer­den so ziem­lich alle Menschen, die in einem Büro arbei­ten, Manager inbe­grif­fen. Selbstständige, die weder Chefin (!) noch Büromitarbeiter haben, kön­nen mit die­sem Buch den­noch etwas anfan­gen, da die meis­ten Themen auch sie betref­fen, ich sage nur: Prokrastinieren und Selbstmanagement. Wusstet Ihr, dass Selbstdisziplin für den beruf­li­chen Erfolg viel wich­ti­ger ist als Intelligenz? So stehts in der Mai-Bibel, natür­lich wis­sen­schaft­lich unter­füt­tert, und ja, ich glau­be, das stimmt …

Ich bin gespannt, wel­che Bibel Mai als nächs­te schreibt, las­sen wir uns über­ra­schen. Hoffentlich kommt es in der Ratgebersparte in der Folge nicht zu einer Bibelwelle, man stel­le sich die Buchläden vor: Sexbibel, Rückenbibel, Yogabibel, Genderbibel usw. Wie wäre das noch zu steigern?

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Jochen Mai: Die Büro-Alltags-Bibel. Alle Regeln und Gesetze für den Job
dtv 2010
368 Seiten
14,90 Euro

„Lauter süße Sachen“

Adventszeit. Nikolaus ist über­stan­den, die Schokoladenvorräte sind auf­ge­stockt, (zu) viel davon ist bereits im Magen gelan­det. Wie gut, dass es zur Abwechslung mal um Schokolade auf Papier gehen soll: Auf mei­nem Schreibtisch liegt, noch ein­ge­schweißt, Jana Männigs „Lauter süße Sachen – Von Brockensplittern, Bambina & Hallorenkugeln. Die Schokoladenseite der DDR“. Das aus­ge­pell­te Buch riecht appe­tit­lich nach Papier und Druck. Mein Eindruck nach einem ers­ten Durchblättern: ange­neh­me, hel­le Farben, die Seiten sind luf­tig und über­sicht­lich gestal­tet, sehr vie­le Bilder, auf jeder Seite min­des­tens eins. Außerdem: gute, fes­te Papierqualität, Hardcover.

Buch auf, los gehts. (Räusper.) Noch ein Schokoladenbuch! Was soll das? Kommt hier wenigs­tens was Neues? Antwort im Buch: „Hier und jetzt geht es um Schokoladenproduktion auf deut­schem Boden – bes­ser noch auf Deutschem Demokratischem Boden! Nehmen Sie sich eine Tüte Knusperflocken mit und las­sen Sie uns weit zurückgehen!“

Knusperflocken. Alles klar? Das sind die­se klei­nen Spritzberge von Zetti, die ein Beweis dafür sind, wie lecker Ausschuss sein kann – denn neben Kakao gehört in die Knusperflocken auch Knäckebrot, das in Form von Knäckebrotbruch von der Burger Knäckebrotfabrik gelie­fert wur­de. Irgendwann reich­te der Bruch nicht mehr aus, so dass man zusätz­lich intak­tes Knäckebrot neh­men musste.

Geschichten wie die­se fin­det man nicht bei Wikipedia und im Web. Sie sind auch ein Grund dafür, war­um sich das Buch bes­tens in einem Rutsch lesen lässt. Wer lie­ber her­um­blät­tert und irgend­wo mit Schmökern anfängt, kann das eben­falls pro­blem­los tun, denn in den Kapiteln wird jeweils in sich geschlos­sen eine Schokofabrik (VEB Rotstern, VEB Halloren, VEB Zetti usw.) vor­ge­stellt oder ein Thema behan­delt, z. B. Werbung, Süßes für Diabetiker und Verpackungsgestaltung.

Was ich nicht wuss­te, nicht wis­sen konn­te, ist, wie breit­ge­fä­chert das Angebot an Süßigkeiten war, die in der DDR pro­du­ziert wur­den: Neben den heu­te noch bzw. wie­der bekann­ten Marken sind da Namen wie „Datschi“ (Vollmilchpralinen), „Honey“ (Schokoriegel), „Mon Plaisir“ (Pralinen) und „Roxe“ (Bonbons). Von Gummitieren über Schokoladenhohlkörpern bis Nougatriegel gab es eigent­lich alles – theo­re­tisch. Praktisch war vie­les nur für den Export bestimmt, lan­de­te nicht in den Kaufhallen, son­dern in Exquisit-Läden oder konn­te auf­grund Rohstoffmangels oder Produktionsvorgaben immer mal nicht pro­du­ziert werden.

Kakao war nicht nur in den Anfangsjahren der Produktion eine Mangelware, die gegen Devisen impor­tiert wer­den muss­te. Aber man war ja erfin­de­risch! So wur­de der Kakaogehalt in Schokoladen nach unten gedrückt und man such­te nach kakao­frei­en Alternativen. Das war die Geburtsstunde von Vitalade und Schlager-Süßtafel, Experimenten aus Erdnüssen, Mehl, Pflanzenfetten usw.

„Legionen von Jugendforscherkollektiven ver­dien­ten sich ihre Sporen bei der Erfindung von Ersatzstoffen, die die Herstellung von preis­wer­ten und den­noch lecke­ren Süßigkeiten ermög­li­chen soll­ten. Gelungen ist ihnen das nicht immer, aber im Falle der legen­dä­ren ‚Fruchtigen 12‘ schon!“

Was es im Buch noch zu erfah­ren gibt: Wie teu­er die Süßigkeiten waren, was es mit der lila Kuh des Ostens auf sich hat, was Nougatstangen mit Zigarrenpackmaschinen zu tun haben, seit wann es in der DDR Kaugummi und wei­ße Schokolade gab, was ein „Stielbonbon“ ist und vie­les mehr.

Fazit: Eine infor­ma­ti­ve und kurz­wei­li­ge Lektüre! Kleinkritelei: Manchmal hät­te es ein wenig aus­führ­li­cher sein kön­nen. Wie war das z. B. mit Zusatzstoffen, also Aromen und Co.? Was bedeu­te­te das Warenzeichen für Diabetikersüßigkeiten? Für mei­ne Begriffe gibt es zu vie­le Ausrufesätze, stel­len­wei­se ist der Stil etwas salopp („Weltkrieg Nummer Zwo“). Die Tabellen im Anhang mit gepunk­te­ten Linien sind auch leicht gewöh­nungs­be­dürf­tig, aber lang­wei­lig wir­ken sie dadurch schon mal nicht!

Wie der VEB Zetti zu sei­nem Namen kam, stand nicht im Buch, des­we­gen wen­de ich mich mal an Euch: Habt Ihr eine Idee? Für die über­zeu­gends­te (lus­tigs­te? krea­tivs­te?) Antwort gibt es eine Tafel Bambina (die auch aus dem Hause Zetti kommt) von mir.

Steckbrief:

„Lauter süße Sachen – Von Brockensplittern, Bambina & Hallorenkugeln. Die Schokoladenseite der DDR“
Jana Männig (Mitarbeit Uwe Hessel)
BuchVerlag für die Frau
November 2009
136 Seiten
14,90 Euro