„Huhu, Herr Schuhu“ von Helen Stephens

Eulen sind nacht­ak­tiv, logisch also eigent­lich, dass der Einband von „Huhu, Herr Schuhu“ dun­kel ist wie die Nacht. Umso hel­ler erscheint die Eule, und die gol­de­ne Schrift, der klei­ne Mond und die Sternchen leuch­ten tat­säch­lich, wenn Licht dar­auf fällt. Los geht es im Herbst, als die Bäume lang­sam kahl wer­den. Jeden Abend schaut Ben aus dem Fenster zum alten, schö­nen Baum vor sei­nem Haus, in dem eine Eule wohnt, und ruft ihr „Hu-huh!“ zu. Die Eule ant­wor­tet dann mit „Huh-hu-huh!“. Ben nennt sie Herr Schuhu. Allerdings sieht und hört nur Ben die Eule, weder sein Papa noch sei­ne Mama bekom­men sie zu Gesicht, sodass sie ver­mu­ten, dass es sich um einen unsicht­ba­ren Freund handelt.

Im Frühling soll die alte Buche gefällt wer­den, eine Frau mit Kettensäge steht eines Morgens beim Baum – doch Ben erzählt von Herrn Schuhu und ver­spricht der Frau und den Leuten aus dem Haus, dass sie am Abend die Eule sehen wer­den. Es wird noch mal brenz­lig, aber so viel sei ver­ra­ten: Es gibt ein Happy End.

Mal erstreckt sich ein Bild über eine Doppelseite, mal sind zwei klei­ne­re Bilder oder ein Bild auf einer Seite – das bringt Abwechslung, eben­so dass die Buchseiten mal schwarz, mal weiß sind. Die ange­nehm kur­zen Textstücke ste­hen da, wo sie am bes­ten zum Bild pas­sen, und manch­mal wird die Schrift auch grö­ßer, wenn Ben zum Beispiel Herrn Schuhu ruft. Die Bilder wir­ken auf­ge­räumt und freund­lich, sie sehen nach Pinsel und Aquarellfarben aus, schwar­ze Striche geben Kontur oder set­zen Akzente. Ein Detail: Ben und sein Papa haben dunk­le­re Haut, sei­ne Mama hel­le­re. Das spielt im Buch über­haupt kei­ne Rolle und soll hier nur erwähnt wer­den, weil ich es gut fin­de, dass sich im Bilderbuchbereich bezüg­lich Diversität etwas zu tun scheint.

„Huhu, Herr Schuhu“ ist ein­fach ein schö­nes Buch und bringt viel­leicht das ein oder and­re Kind dazu, bei Bäumen genau­er hin­zu­schau­en – wel­che Tiere woh­nen dar­in? – und sich Gedanken zu machen: Was pas­siert mit den Tieren, wenn der Baum gefällt wird? Autorin und Illustratorin Helen Stephens erzählt in einem Mini-Nachwort, dass sie Eulen schon immer moch­te und sie bereits als Kind gezeich­net hat. In ihrer Straße hät­te es einst eine Eule gege­ben, die ver­schwand, als alte Bäume gefällt und neue, hel­le­re Laternen auf­ge­stellt wur­den. Das Buch sei „die­ser Eule und allen Wildtieren, die in unse­ren Städten leben“, gewid­met. Natürlich wäre es pri­ma, wenn sich auch die erwach­se­nen Vorleserinnen und Vorleser ange­spro­chen füh­len, schließ­lich sind es Erwachsene, die Bäume fäl­len (las­sen) – und Bäume pflan­zen können.

Helen Stephens: Huhu, Herr Schuhu
Aus dem Englischen von Christiane Lawall
Lektorat: Kim Laura Franzke
40 Seiten
ab 4 Jahren
2021 Annette Betz
ISBN 978–3‑219–11940‑4
14,95 Euro

„Rowan & Ash“ von Christian Handel

Im Inselkönigreich Iriann lebt der jun­ge Rowan, der zwar kein Königssohn, aber der Königstochter Alyss ver­spro­chen ist. Schon als sie noch Kinder waren, wur­de die Verbindung von den Eltern beschlos­sen, und die bei­den ken­nen und mögen sich. Aber Rowan steht auf Männer – was nie­mand außer ihm weiß und auch nicht erfah­ren soll, denn Liebe zwi­schen Männern ist geäch­tet. Dazu kommt, dass Rowan eigent­lich ein „guter Sohn“ sein und das machen will, was sein Vater, ein Herzog, sich für ihn vor­stellt, also Alyss hei­ra­ten und König wer­den. Seine Familie reist für den Sommer in die Hauptstadt. Dort soll Rowan Zeit mit sei­ner zukünf­ti­gen Frau ver­brin­gen und sich als neu­es Mitglied im Rat des Königreichs bei der Entscheidung über das Schattenlabyrinth ein­brin­gen. Das Schattenlabyrinth ist die Quelle der Magie auf der Insel. Wenig über­ra­schend hat die Magie zwei Seiten, eine gute und eine schlech­te: Die Menschen nut­zen sie in Form von magi­schen Artefakten, mit denen sie han­deln. Aber die Magie bringt auch Schattenkreaturen und die Krankheit Hexenbrand her­vor, wes­we­gen zur Debatte steht, das Schattenlabyrinth end­gül­tig zu versiegeln.

In der Hauptstadt ange­kom­men trifft Rowan gleich auf Ash, der ihm seit ihrer ers­ten Begegnung vor einem Jahr nicht mehr aus dem Kopf gegan­gen ist. Das Buch heißt „Rowan & Ash“, und dies ist also ihre Geschichte. Erzählt wird sie aus­schließ­lich aus Rowans Perspektive, ihm folgt man die gan­ze Zeit, sei­ne Gedanken und Gefühle erfährt man. Rowan ist kein schil­lern­der Held, er ist sehr nah­bar, stellt sein Licht eher unter den Scheffel, als dass er mit irgend­et­was pran­zen wür­de. Seine bes­te Freundin ist eine Bürgerliche, Raven, die an der Akademie der Magier in der Hauptstadt stu­diert. Rowans Vater ist besorgt, dass Gerüchte auf­kom­men könn­ten, wenn Rowan zu viel Zeit mit Raven ver­bringt, denn natur­ge­mäß wird am Königshof gemun­kelt und sicher auch intri­giert. Doch an Rowan scheint das alles abzu­per­len, sei­ne ein­zi­ge „Schwachstelle“ ist Ash, den er des­halb mög­lichst mei­den will, was ihm nicht gelingt – und schließ­lich stellt Ash ihn vor eine Entscheidung und eine Aufgabe im Schattenlabyrinth, für die Rowan muti­ger sein muss als je zuvor …

Wer eine dra­ma­ti­sche, schil­lern­de Liebesgeschichte und lau­te, über­wäl­ti­gen­de Fantasy erwar­tet, ist bei „Rowan & Ash“ falsch, in der Hinsicht ähnelt das Buch sei­nem Hauptcharakter. Es ist gut, wenn man sich für das Lesen Zeit nimmt und Sätze nicht nur über­fliegt bzw. ver­schlingt, wie das bei einem aus­schwei­fen­den Fantasyschmöker ja durch­aus mal pas­siert. Die Gespräche, Zwischentöne wol­len beach­tet sein, erst dann ent­fal­tet das Buch sei­ne, man könn­te sagen: Magie. Manches mag ver­traut erschei­nen, durch­aus gegen­wär­tig. So haben Rowans Eltern zwar bestimm­te Vorstellungen für ihn, aber sie wol­len auch, dass er glück­lich ist. Seine Verlobte Alyss könn­te er lie­ben, wenn er denn sol­che Gefühle für Frauen haben wür­de. Selbst bei sei­ner bes­ten Freundin ist er sich nicht sicher, wie sie reagie­ren wird, wenn er ihr offen­bart, dass er einen Mann liebt. Unsicherheiten, Zweifel, Fragen, die etli­che Jugendliche umtrei­ben dürf­ten, wenn sie rea­li­sie­ren, dass sie schwul oder les­bisch sind. Interessant ist unter dem „rea­lis­ti­schen“ Aspekt auch die Art von Magie, die Autor Christian Handel schil­dert, sie erscheint wie eine Strahlung, die schä­di­gen und gar zer­stö­ren kann, da mag eini­ger Raum für Interpretation sein.

Das Ende kommt ein wenig zu früh, zwar gibt es eine Entscheidung, aber man wür­de schon ger­ne erfah­ren, wel­che Konsequenzen sie hat und wie es danach wei­ter­geht. So muss man den Faden selbst wei­ter­spin­nen, was irgend­wie auch okay ist. Und der letz­te Satz des Buches: Der ist wunderbar.

Christian Handel: Rowan & Ash. Ein Labyrinth aus Schatten und Magie
Lektorat: Emily Huggins
416 Seiten
ab 14 Jahren
2020 ueberreuter
ISBN: 978–3‑7641–7105‑6
17,95 Euro

„Mut. Machen. Liebe“ von Hansjörg Nessensohn

Paul, neun­zehn Jahre, ist Hals über Kopf nach Italien geflo­gen, um von der Toskana nach Rom zu wan­dern, einen Monat Zeit hat er dafür. Sein Rucksack ist mit fünf­zehn Kilo viel zu schwer, merkt er schnell, aber das eigent­li­che Problem ist (natür­lich) das men­ta­le Gepäck, das er mit sich her­um­schleppt. Sein bes­ter Freund hat ihn vor vier Jahren auf äußerst schä­bi­ge Weise geoutet, das hat er nach wie vor nicht ver­wun­den. Auch nicht den Verlust die­ses Freunds. Was bei der Wanderung her­aus­kom­men soll, weiß er selbst nicht genau, auf die Idee hat ihn Mark Forster gebracht (wie, kann man ja nach­le­sen). Gleich in sei­ner ers­ten Unterkunft quatscht ihn eine alte Frau an und lässt sich von Paul, der ein­fach nur sei­ne Ruhe haben will, nicht abwim­meln. Sie stellt sich als Liz vor, ist acht­zig und offen­bar genau die Person, die Paul gera­de braucht. Sie lau­fen zusam­men wei­ter, reden viel, kön­nen aber auch mit­ein­an­der schwei­gen. Liz inter­es­siert sich dafür, wie es ihm geht – und sie erzählt ihm von Helmut.

In kür­ze­ren und län­ge­ren Rückblenden, die sich durchs gan­ze Buch zie­hen, erfährt die Leserin, der Leser, was Helmut mit ein­und­zwan­zig Jahren im Sommer 1957 in Köln erlebt hat. Er ist mit Marlene zusam­men, sie wol­len hei­ra­ten. Dann stürzt Enzo, ein ita­lie­ni­scher Gastarbeiter, buch­stäb­lich in sein Leben, sie begeg­nen sich immer wie­der und ver­lie­ben sich inein­an­der. Aber Helmut ist nicht frei – er ist ver­lobt, hat Verpflichtungen gegen­über sei­ner Herkunftsfamilie, beruf­lich exis­tie­ren eben­falls Abhängigkeiten und das gesell­schaft­li­che Klima für Männer, die Männer lie­ben, ist mise­ra­bel. Laut Paragraf 175 des Strafgesetzbuches ist Sex zwi­schen Männern straf­bar, soge­nann­te 175er wer­den durch die Polizei ver­folgt, sie wer­den gede­mü­tigt und ver­ur­teilt. Zum einen ist da also eine Liebesgeschichte, eine Annäherung, die der Autor wun­der­bar schil­dert. Zum andern ist die­se Liebe geheim und ganz unmit­tel­bar bedroht. Helmut muss sich ent­schei­den, was er will …

Pauls „Jetzt“ ist zunächst eher ruhig, er muss sich schließ­lich vor allem selbst sor­tie­ren. Bei Helmut pas­siert dafür umso mehr. Beide Ebenen schil­dert der Autor, Hansjörg Nessensohn, authen­tisch, im Zusammenspiel ist das abso­lut fes­selnd. Infos zum Paragrafen 175, der 1871 ein­ge­führt und erst 1994 abge­schafft wur­de, fin­den sich im Nachwort von Joachim Schulte. Der Titel des Buchs ist viel­leicht etwas all­ge­mein, aber er ist ein gutes Motto und ergibt in Verbindung mit dem Regenbogen-Cover eine kla­re Botschaft und Ansprache. Woher kennt Liz Helmuts Geschichte? Was nimmt Paul von die­ser Reise und der Begegnung mit Liz und über sie mit Helmut mit? Der Autor beant­wor­tet die­se Fragen so, dass es eine run­de Sache ist, aber er lässt auch etwas offen, sodass ein wei­te­res Buch mit Paul durch­aus mög­lich scheint – span­nend wäre es alle­mal zu lesen, wie es mit ihm weitergeht.

Hansjörg Nessensohn: Mut. Machen. Liebe
Lektorat: Judith Schumacher
352 Seiten
ab 14 Jahren
2021 ueberreuter
ISBN: 978–3‑7641–7119‑3
18 Euro