„Die Wale und wir“ von India Desjardins und Nathalie Dion

Ein Bilderbuch über Wale, das könn­te eine Geschichte oder ein Sachbuch sein. India Desjardins hat bei­des ver­bun­den, sie greift Geschichten über Wale auf und infor­miert zu ver­schie­de­nen Themen, teils geht das inein­an­der über. In einer Geschichte zum Beispiel hat sich ein Beluga in einem Fischernetz ver­fan­gen, ein Fischer ret­tet ihn, der Beluga schwimmt weg, kehrt dann aber noch mal um und nickt dem Menschen wie zum Dank zu. Im Anschluss fragt die Autorin unter ande­rem, war­um Wale Luft zum Atmen brau­chen, ob sie nicken und ob sie Dankbarkeit zei­gen kön­nen. Die Antworten sind sach­lich, auf Basis der aktu­el­len Forschungslage, knapp genug und in ein­fa­chen Worten.

Das gan­ze Buch ist eine fas­zi­nie­ren­de Zusammenstellung von Fakten und Fiktion zu Walen, nicht geord­net wie ein Sachbuch, son­dern eher im Fluss, wie es so kommt. Am Anfang steht die Unterteilung der Wale in zwei Gruppen, auf jeweils einer Doppelseite wer­den die Bartenwale und Zahnwale vor­ge­stellt, mit weni­gen Zeilen bloß, aber selbst­ver­ständ­lich mit Bildern von diver­sen Walen. Zur Geschichte der Wale erfährt die Leserin, der Leser etwa, dass es sie seit 35 Millionen Jahren gibt, sie jedoch erst seit 4,5 Millionen Jahren so groß sind.

Ab sie­ben Jahren ist das Buch laut Verlag, und das mag pas­sen, denn Kinder kön­nen sich erst mal an die Geschichten und Bilder hal­ten, die Wale in allen mög­li­chen Situationen zei­gen, ein Wiedererkennen gibt es viel­leicht bei einer Szene aus „Pinocchio“, mit Pinocchio und Geppetto im Bauch des Wales. Die Bilder sind kind­ge­recht, aber nicht nied­lich, für Erwachsene dürf­te beim Betrachten eine Prise Wehmut mit­schwin­gen, in Verbindung mit den Texten. Die Autorin macht recht deut­lich, dass Wale stark bedroht sind: durch Überfischung (weni­ger Nahrung für die Wale), den Einsatz von immer mehr Fischernetzen, durch Umweltverschmutzung (spe­zi­ell Plastikmüll), durch Schiffsverkehr und Schiffslärm (erschwert Walen die Orientierung) und nach wie vor durch Walfang, kurz­um: durch den Menschen.

Ob die Wale noch zu ret­ten sind, dar­an scheint die Autorin selbst zu zwei­feln, so schreibt sie in ihrem Vorwort, sie hät­te irgend­wann ver­stan­den, war­um Wale sie so fas­zi­nier­ten: „weil sie gleich einem dunk­len Vorzeichen das Ende einer Welt ankün­di­gen, in der sie exis­tie­ren kön­nen“. Was pas­siert mit einer Welt, in der Wesen, die es seit 35 Millionen Jahren gibt, nicht mehr leben kön­nen? Im letz­ten Jahrhundert gab es dem­nach noch 250.000 Blauwale, heu­te nur noch 5000.

Manche Texte und Erklärungen sind etwas anspruchs­vol­ler, wenn bei­spiels­wei­se die Kommunikation der Wale erklärt wird, von der Erzeugung der Laute bis zur Echoortung. Das Buch rich­tet sich also offen­sicht­lich eben­so an älte­re Kinder und Erwachsene. Auf 56 Seiten ver­mit­telt die Autorin etli­che Infos, jedoch nicht zu vie­le. Das ist ja durch­aus ein Nachteil von rei­nen Sachbüchern, dass sie ein umfas­sen­des Bild geben sol­len und wol­len, man aber das meis­te gleich nach dem Lesen wie­der ver­gisst. Und der emo­tio­na­le Faktor ist bei „Die Wale und wir“ natür­lich wesent­lich. Das Buch dürf­te bei vie­len den Wunsch wecken, etwas für die Wale zu tun. Am Schluss fin­det sich eine Liste mit Dingen, die man selbst oder gemein­schaft­lich machen kann, um die Lage der Wale bzw. der Tiere in den Meeren gene­rell zu ver­bes­sern. Und auf der letz­ten Seite sind Websites von Organisationen und Institutionen auf­ge­lis­tet, die über Wale infor­mie­ren bzw. sich für den Schutz von Walen einsetzen.

Die Wale und wir
Text: India Desjardins
Illustrationen: Nathalie Dion
Aus dem Französischen von Caroline Grafe
56 Seiten
ab 7 Jahren
2023 Verlag Freies Geistesleben
ISBN 978–3‑7725–3138‑5
22 Euro

„Ich bin etwas schüchtern“ von Elisabeth Longridge

Da ist jemand schüch­tern, ein Tier, von dem man zunächst nur den Kopf und den (nicht ganz kur­zen) Hals sieht, aber ver­mut­lich wis­sen sogar schon klei­ne­re Kinder sofort, dass das ein Pfau ist. Ein ande­rer Pfau will von ihm wis­sen, war­um er sich ver­steckt. Die Antwort: Er ist schüch­tern, da alle immer auf sei­nen gro­ßen, lan­gen Schweif schau­en wür­den. Der ande­re Pfau nimmt ihn mit zu vier Freunden: dem Schwan mit dem super­lan­gen Hals, der Eule mit den super­gro­ßen Augen, dem Flamingo mit den super­lan­gen Beinen und dem Tukan mit dem super­gro­ßen Schnabel. Alle vier fin­den Hals, Augen, Beine und Schnabel super, so wie sie sind. Daraufhin fasst der schüch­ter­ne Pfau Mut und zeigt sich so, wie er ist. Man kann sagen: in all sei­ner Pracht. Und die Moral von der Geschicht steht am Schluss: „Es gibt kei­nen Grund, schüch­tern zu sein – wir sind alle beson­ders, ob groß oder klein.“

Tatsächlich ist man­ches im Buch gereimt, aber bei Weitem nicht alles. Es ist ziem­lich wenig Text, pro Doppelseite maxi­mal vier Zeilen, und die Buchstaben sind recht groß. Das passt zu den schö­nen Illustrationen, die jeweils über eine Doppelseite gehen. Sie sind ruhig, klar und redu­ziert, auf eine sehr anspre­chen­de Weise. Das Cover ist ein gutes Beispiel: viel freie wei­ße Fläche, die Tiere mit einer pas­sen­den, cha­rak­te­ris­ti­schen Umgebung – und auf jedem Bild immer klei­ne, zar­te Schmetterlinge, die ja unter ande­rem ein Symbol für Wandel sind, für Hoffnung und Leichtigkeit.

Durch die zeit­lo­sen Illustrationen und die ein­fa­che, star­ke Botschaft ist das Buch etwas für Kinder wie für Erwachsene. Vermutlich füh­len sich von dem Titel auch mehr Menschen ange­spro­chen, als man den­ken würde …

Elisabeth Longridge: Ich bin etwas schüchtern
Aus dem Englischen von Anne Brauner
32 Seiten
ab 4 Jahren
2023 Verlag Freies Geistesleben
ISBN 978–3‑7725–3121‑7
16 Euro

„Fang. Eine Tiergeschichte aus dem achten Stock“ von Jonny Bauer und Stephan Lomp

Darko wohnt in einem acht­stö­cki­gen Hochhaus im ach­ten Stock und ist Tierforscher, er hat eine Spezialweste mit vie­len Taschen und Dingen dar­in (zum Beispiel Knallfrösche und Schnur) sowie ein Tierlexikon. Als es reg­net, will er Regenwürmer fan­gen, doch sei­ne Mama lässt ihn nicht raus. Also angelt er ein­fach aus dem Fenster. Und fängt nach­ein­an­der einen Brillenpelikan, einen Brüllaffen, einen Großen Ameisenbären, einen China-Alligator und einen Waldelefanten. Nicht etwa ganz all­ge­mein einen Pelikan, Affen, Ameisenbären, ein Krokodil und einen Elefanten – ver­ständ­lich, wenn kind ein Tierlexikon hat, und ein char­man­ter Aspekt im Buch. Zumal die Namen durch­aus fan­ta­sie­voll klin­gen, sie sind aber alle­samt echt.

Die fünf Tiere kön­nen ganz selbst­ver­ständ­lich reden und hel­fen eins nach dem and­ren und auf ihre Weise Darko bei sei­nem Regenwurmfangprojekt, doch ohne Erfolg. Als der Regen auf­hört, müs­sen alle schnell raus, da Regenwürmer dann bekannt­lich wie­der ver­schwin­den. Draußen wer­den die fünf Tiere ins Tierlexikon gesaugt, das Darko am Anfang wütend aus dem Fenster geschleu­dert hat­te, und der Regenwurm dane­ben sucht auch das Weite. Darko macht das nichts aus, er freut sich schon auf das nächs­te Regenabenteuer …

Die Illustrationen erstre­cken sich jeweils über eine Seite oder Doppelseite, die Texte sind mal kür­zer und mal län­ger, mit Luft dazwi­schen und in ordent­lich gro­ßer Schrift. Die Tiere sind ein­fach und freund­lich gehal­ten, und sie tau­chen auch nicht erst an der Angel auf, son­dern zuvor in Darkos Zimmer: als Plüschtier, Zeichnung, Spardose oder Dekofigur. Die kann das Kind, dem vor­ge­le­sen wird, ja suchen, wenn es die Geschichte bes­ser kennt.

Für die erwach­se­nen Vorleserinnen und Vorleser bie­tet das Buch eben­falls ein paar Hingucker, vom eher tris­ten Hochhaus über einen Schummelspruch an der Kinderzimmertür bis zur Regelerfindungsversammlung in Sachen Regenwurmjagd. Ein Buch für Hochhauskinder, Regenstunden und alle mit Fantasie, denn man kann die Geschichte gut wei­ter­spin­nen – wel­che Tiere könn­te Darko noch fan­gen? Und wel­che Regenabenteuer könn­te er spä­ter erleben?

Fang. Eine Tiergeschichte aus dem ach­ten Stock
Text: Jonny Bauer, Illustrationen: Stephan Lomp
Lektorat: Kim Laura Franzke
40 Seiten
ab 4 Jahren
2023 annet­te betz
ISBN 978–3‑219–11969‑5
16 Euro