Das Buch ist schön anzusehen, ansprechendes Cover, fester Einband, Lesebändchen. Es hat knapp über 130 Seiten und den Titel kann man wörtlich nehmen: In „Abschied von meiner Oma“ geht es um den Abschied des Autors, Stephan Sigg, von seiner Oma, die mit über achtzig Jahren nach längerer Krankheit gestorben ist. Aufgezogen ist das wie ein Brief oder wie ein (einseitiges) Gespräch mit der Großmutter, also „du warst …“, „ich war …“ und „wir waren …“. Dieses „du“ kann irritieren oder gerade Nähe und Unmittelbarkeit suggerieren. Der Autor verwendet zum Großteil Präteritum, einzelne Szenen stehen im Präsens. Dieses „du“ in Kombination mit Verben im Präteritum liest sich streckenweise etwas anstrengend, auf Seite 96 zum Beispiel: „du wirktest“, „du ließest“, „du nipptest“, „du gönntest“, „du ermuntertest“. Es ist nicht auf allen Seiten so extrem, aber das hätte man vielleicht doch lesefreundlicher lösen können.
Es ist also die Geschichte einer bestimmten Oma und ihres Enkels, der Enkel erzählt, was die Oma für ihn ausmachte, was er von ihr wusste und was er im Nachhinein gern gewusst hätte, was sie mit ihm unternommen hat, welche Rolle sie für ihn gespielt hat. Und wenn der Enkel seiner Oma zum Abschied ein Buch widmet, kann man sich schon denken, dass das eine besondere Beziehung war. Eine enge und eine sehr positive, es gibt keine Brüche, keine Missklänge, bloß viel Liebe und schöne Erinnerungen. Was nicht heißt, dass alles Friede, Freude, Eierkuchen war im Leben der Oma, auch nicht in den Augen des Enkels – aber das hatte keinen Einfluss auf die Zeit, die sie miteinander verbrachten, auf die Oma-Enkel-Beziehung.
Hatte oder hat die Leserin, der Leser eine ähnlich exklusive, rundherum positive Beziehung zu den eigenen Großeltern, dürfte die Lektüre Erinnerungen wecken und auch rühren. Selbst wenn die Großeltern ganz andere Lebensläufe als die Oma des Autors hatten oder haben, so gibt es doch mit großer Wahrscheinlichkeit bestimmte Gemeinsamkeiten: dass das Enkelkind das Größte ist, dass es bei Oma und Opa mehr darf als bei den Eltern, dass es verwöhnt wird und bedingungslos geliebt. Und dass die Großeltern und ihre Liebe nach ihrem Tod weiterleben in der Erinnerung des Enkelkinds. Über diese Liebe kann man ruhig viel reden und schreiben und lesen, ich denke, davon zehrt man ein Leben lang.
Stephan Sigg: Abschied von meiner Oma. Wie es ist, wenn Großeltern gehen
136 Seiten
2019 Patmos Verlag
ISBN 978–3‑8436–1164‑0
15 Euro