Dieses Buch ist ganz schön dick, ein echter Wälzer. Dabei hat es gar nicht so viele Seiten, „nur“ 384. Des Rätsels Lösung: Es ist wunderbares Papier. Kräftiges, stabiles Papier, ein Fest für die Finger. Logisch, dass da auch über dem Impressum steht, wer das Papier geliefert hat. So was finde ich spannend. :)
„Die Fluchweberin“ heißt das Buch, ein Titel, der mich neugierig gemacht hat. Dazu noch das Cover, das fast zurückhaltend wirkt, mit einer Grundfarbe zwischen Grau und Grün, durchwebt von verästelten weißen Fäden. Und mittig oben, um den Buchtitel herum, Ornamente, Figuren und Dinge im Kreis angeordnet. Das hat etwas von einem Armband, an dem einzelne Anhänger, Charms, befestigt sind. Und da „charm“ auch Zauber bedeutet, passt das genial, denn um Zauberei, um Magie, geht es in dem neuen Buch von Brigitte Melzer.
„Die Fluchweberin“ spielt im heutigen England, Erzählerin und Hauptfigur ist die siebzehnjährige Raine. Mit fünf hat sie auf eine schreckliche Weise ihre Eltern verloren, und davon träumt sie auch zwölf Jahre später noch jede Nacht. Raines Mutter war Zauberin, sie hatte die Gabe, Menschen, denen die Ärzte nicht mehr helfen konnten, zu heilen. Eigentlich eine gute Sache, nicht jedoch in dieser Welt, in der Magie ein Verbrechen ist. Egal wie die Zauberer ihre Kräfte einsetzen, ob für eine gute oder schlechte Sache oder gar nicht – wenn die Magiepolizei sie aufspürt, sind sie verloren. Sie werden nicht direkt getötet, doch mittels einer OP ihrer Zauberkraft beraubt. Dieser Eingriff ist entweder tödlich oder zerstört das Gehirn …
Raine hat aus dem, was ihren Eltern widerfahren ist, gelernt: Sie vertraut niemandem, lässt niemanden an sich heran. Denn sie hat eine magische Kraft – sie kann Leute verfluchen, sodass ihnen Dinge kaputtgehen, sie einen Ausschlag bekommen usw.: Sie ist eine Fluchweberin. Ihre Magie ist so schwach, dass die Magiesensoren der Magiepolizei nicht darauf anspringen. Dennoch ist Raine immer auf der Hut – sie muss Distanz halten, damit sie sich nicht verrät, und zugleich darf sie sich nicht zu sehr von den anderen absondern, da das ebenfalls auffallen würde. Das wird dadurch erschwert, dass sie in einem Internat lebt, also fast rund um die Uhr immer die gleichen Leute um sich hat. Als ein neuer Schüler an das Internat kommt, wird Raine aus ihrer Reserve gerissen: Denn der Neue interessiert sich mehr für Raine, als ihr lieb ist; ihre Erzfeindin Kim ist noch boshafter als sonst; eine Ex-Flamme macht ihr neue Avancen; jemand im Internat scheint böse Magie zu praktizieren und Raine hört geisterhafte Stimmen …
Brigitte Melzer, Jahrgang 1971, hat seit 2004 mehr als fünfzehn Fantasyromane für Jugendliche herausgebracht. „Die Fluchweberin“ ist das erste Buch, das ich von ihr gelesen habe. Es beginnt packend und lässt einen auch nicht wieder los. Raine, die Fluchweberin, erzählt in der Ich-Form, sodass man ihre Gedanken, Erinnerungen, Erlebnisse hautnah mitbekommt – und nicht mehr weiß als sie. So muss man ziemlich lange rätseln, was nun eigentlich los ist und woher Gefahr droht, das hat etwas von der Maus in der Falle, was das Ganze spannend macht. Raine gibt nicht nur Wohlüberlegtes von sich und wiederholt sich auch mal, das kennen wir ja von uns selbst, das ist authentisch und sympathisch – wird aber manchmal doch etwas zu viel, gerade bei der Liebesgeschichte, deren Mantra „es geht nicht“ und „es darf nicht sein“ ist.
Die Namen der Haupt- und wichtigen Nebenfiguren passen eher zu einer US-Highschool als zu einem englischen Eliteinternat: Raine, Ty, Skyler, Mercy, Max – und das gilt genauso für die Charaktere, für die Erzählweise und die Geschichte. Wenn mich jemand fragen würde, ob das Buch eher Popcorn oder Keks sei, würde ich sagen: Popcorn. Und zwar leckeres, fluffiges, süßes Popcorn, das sich wegisst wie nichts und nicht schwer im Magen liegt, wenn die Tüte leer ist.
Die Fluchweberin
von Brigitte Melzer
Lektorat: Ingola Lammers
Ueberreuter 2012
ISBN: 978–3‑8000–5662‑0
ab 14 Jahren
16,95 Euro